Wendelringe – Ein heiliges Symbol der Bronzezeit

Der ganze Ort hat sich am Rande des Moores versammelt. Es ist 700 v. Chr. Ein dumpfer Gesang ertönt. Fackeln brennen. Ein Loch wird im feuchten Boden gemacht und dann werden gleich mehrere kostbare Wendelringe in die Mulde gelegt. Sie werden eingegraben. Auf dass das Moor dieses Geschenk für immer annehmen soll. Damit die Götter besänftigt werden. Auf dass das nächste Jahr ein besseres Jahr wird. Der dumpfe Gesang wird lauter. Die Menschen gehen in den Ort zurück. Mehr als 2.000 Jahre später erforscht die Archäologie diesen Brauch

Was wurde also gefunden?

Zugegeben – die Dorfgemeinschaft und den Gesang habe ich erfunden – Aber: Seit langen ist die Fundart Wendelring bekannt – Sie sind weder häufige noch seltene archäologische Funde. Der erste Wendelring wurde schon vor der Zeit der Archäologie bei Güstrow entdeckt. Man wusste nicht, was es ist, fand es aber hübsch und nutzte ihn als Türklopfer für den Dom. In der gesamten Archäologiegeschichte tauchen Wendelringe immer wieder auf.

Eine Zeichnung eines Mannes mir sauber geschnittenen Vollbart und einer ovalen Nickelbrille.

Rudolf Virchow war einer der ersten, der Wendelringe beschrieben hat.

So war es schon 1883 Rudolf Virchow, der den Namen „Wendelring“ aufgrund der verwirbelten Struktur auf der Ringoberfläche erfunden hat. Man findet sie selten in Körpergräbern, um den Hals von Frauen gelegt. Etwas häufiger findet man Wendelringe bei Urnenbestattungen, die in der Bronzezeit ohnehin häufiger sind als Körperbestattungen. Hier sind sie um den Hals der Urne gelegt. Meist findet man die Ringe aber in Deponierungen. Man hat sie also gezielt verborgen.

Wenn man Wendelringe eingegraben hat, woher weiß man, von der religiösen Motivation dahinter?

Vor ca. 2.900 Jahren datieren die ältesten Funde dieser Art. In den folgenden 500 Jahren scheint der Brauch weit verbreitet gewesen zu sein – oder in Archäologiesprache: Im Zeitraum Hallstatt D, Latené A und Jastorf a und b. Wendelringe finden sich auch noch am Beginn der vorrömischen Eisenzeit, und einige Funde der späten Eisenzeit ähneln diesen Ringen stark.

Zwei Wendelringe. Sie bestehen aus einem Stab, der mehrfach in verschiedene

Zwei Wendelringe 600 – 450. v. Chr., ausgestellt im Landesmuseum für Vorgeschichte in Kassel.

Von den heutigen Niederlanden, bis Polen, in Skandinavien und Tschechien findet man Niederlegungen, die so gemacht waren, dass man die Ringe nie wieder zurückholen kann. Oft in Feuchtgebieten, oder in Flüssen – und heute, wenn ein Flusslauf sich verändert, oder ein Moor trocken gelegt ist, werden sie gefunden. Die meisten bekannten Wendelringe sind deshalb Zufallsfunde.

Ein Wendelring und eine Bernsteinkette. Die Kette hat 3 Dicke Anhänger.

Grabinventar der Dame aus Wehlheiden – Ein sehr scharflappiger Wendelring und eine Bernsteinkette (600 – 450 v. Chr.) Ausgestellt im Landesmuseum für Vorgeschichte in Kassel.

Es sind immer mehrere Wendelringe, die gemeinsam verborgen wurden. Manchmal wurden noch Beile hinzugelegt – das verwirrt einige in der Forschung, denn es werden zu diesen als weiblich gelesenen Objekten auch Gegenstände gelegt, die eher als männlich definiert sind. Möglicherweise ist es aber in dieser Hinsicht nicht sinnvoll, Objekten eine Geschlechterrolle zuzuordnen. Es gibt Depots mit über 40 Wendelringen und Waffen – ganze Dörfer scheinen hier Kostbarkeiten für die Götter niedergelegt zu haben. Später, als der Kult langsam verschwindet, werden nur noch je zwei Halsringe vergraben. Auffällig ist, die Wendelringe wurden in der Bronzezeit wirklich als Schmuck getragen.

Woher weiß man denn, dass die Ringe wirklich benutzt wurden?

Die Ringe haben Gebrauchsspuren – das Metall ist abgenutzt. Die Halsringe sind manchmal sogar geflickt worden. Weil diese Ringe auch in Frauengräbern zu finden sind, geht man davon aus, dass sie in Verbindung mit Weiblichkeit stehen. Das Symbol, das dieser Halsschmuck darstellte, war anscheinend wichtig, denn: Die Ringe als Schmuck zu tragen, scheint teilweise gefährlich gewesen zu sein.

Eine Zeichnung eines Wendelrings mit sehr scharfen Kanten.

Der Wendelring von Badeludaåsen

Der scharflappige Wendelring hat seine Bezeichnung nicht von ungefähr. Er hat so scharfe Kanten, dass man sich damit die Haut aufschneiden kann. Deswegen geht man davon aus, dass man die Ringe über einem Halskragen aus Leder drapiert hat – oder evtl. auf dem Kopf trug. Es war aufwändig, Wendelringe zu tragen, man musste sie um den Hals biegen. Damit das funktionierte, war schon die Herstellung eine Kunst. Damit der Ring vom Biegen nicht kaputtgeht, muss das Mischungsverhältnis der Bronze optimal sein, der Zinnanteil bei 11,3% liegen. Im Laufe der Zeit entstehen mehrere Arten von Wendelringen, von denen viele die scharfen Kanten nur imitieren.

Und wie wurden die Ringe hergestellt?

Die Ringe bestehen aus Bronze, die damals gülden geglänzt haben muss. Man hat diese Bronze bei der Herstellung zu einem Stab geformt und den Stab dann verdreht. Das war gar nicht so einfach, die Brenntemperatur, die es ermöglichte, den Ring zu verdrehen musste, exakt sein. Um diese Temperatur zu erzeugen, wurde eine hochwertige Ofenstelle benötigt und das Brennmaterial musste richtig gelagert werden. All das verlangte eine gute Vorbereitung – man kann an den Ringen bis heute erkennen, wie talentiert die Person war, die den Ring hergestellt hat. Arthur Pietsch, der versuchte diese Handwerkstechnik zu rekonstruieren, brauchte 25 Jahre, um seinen ersten brauchbaren Wendelring zu erschaffen. Beim Verdrehen nutzte man einen Vierkantstab, um das Spiralmuster in einem federnden Ring zu erzeugen.

Wendelring mit eingeritzter Spirale

An diesem Wendelring aus Rostock lässt sich deutlich eine andere Herstellungstechnik erkennen (Foto: Jens Ulrich).

Ein solcher Ring hatte meist eine Dicke von 5-10 mm. Für den scharflappigen Stil hat man den Vierkantstab stark ausgeformt. Bei dicklippigen Wendelstäben sind die Leisten meist dicker und damit widerstandsfähiger. Bei breitrippigen Wendelringen sind die Fugen etwas dichter. Doch eines ist immer gleich: Der Stab wurde an drei Stellen in verschiedene Richtungen verdreht, sodass Wirbel entstanden. Fast immer 5 Wirbel vom Mittelpunkt aus gesehen. Das findet sich sogar bei Wendelringimitaten.

Wendelringimitate?

Es entstehen in der Bronzezeit vergleichbare Ringe. Diese gelten nicht als echte Wendelringe, weil das Spiralmuster hier anders erzeugt wurde – oft sind diese Ringe auch sehr viel dünner.

Drei dünne Metallringe ineinander Verschlungen.

Wendelringe aus der späten vorrömischen Eisenzeit. (1. jh. n. chr.). Ausgestellt im Römisch-Germanischen Museum in Köln.

Die Spiralmuster wurde z.B. eingemeißelt, oder die Ringe gegossen und das Muster eingeritzt. Gegen Ende der Bronzezeit gibt es fast nur noch diese dünneren Imitate. Dabei ist anzumerken, dass Pietsch durch seine Forschung zu den Metalltechniken herausgefunden hat, dass die Fertigungstechniken gar nicht so unterschiedlich sind, wie in der Unterteilung angenommen.

Dünnes spiraltes Metallstück.

Einer der Wendelringe von nahen – deutlich ist zu sehen, die Drehrichtung geht nur noch in eine Richtung.

Bereits Virchow hatte diese Unterteilung nach äußeren Merkmalen vorgenommen. Pietsch zeigte: Aus handwerklicher Sicht, sind die Methoden, die bei der Herstellung eingesetzt wurden, aber gar nicht so klar voneinander abgegrenzt.

Die verschiedenen Wendelringarten haben mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede

Beide Formen wurden geopfert. Bei beiden Formen fällt auf: Die Verschlüsse sind aufwändig verziert. Deswegen gibt es die ungeklärte Frage, ob man den Verschluss  vorne, oder hinten getragen hat. Das ist unklar, obwohl man Wendelringe auch in Gräbern gefunden hat, weil sich so ein Ring eben im Boden noch drehen kann. Der eigentlich einzige Unterschied bzgl. Wendelringen als Fund ist: In einigen Regionen sind sie eher in Gräbern anzutreffen, in anderen eher als Opfergabe.

Golderner Wendelring

Dieser Wendelring stammt aus Stettin und hat einen Durchmesser von 22 cm (Foto: G. Solecki/A. Piętak).

In der Eisenzeit, als die Wendelringe langsam verschwinden, entstehen sog. Torques. Dieser Name leitet sich von tordierter Stab ab – Es scheint möglich, dass sich dieser Halsschmuck als Folge der Wendelringe entwickelt, hat. Torques sind sogar noch weiter verbreitet als Wendelringe. Es sind ebenfalls Halsringe, die haben aber verzierte Knaufenden. Bei Torques ist es unstrittig, dass diese Kaufenden – also der Verschluss – vorne getragen wurde.

Ah – das heißt, nur die Gestaltung ändert sich, aber die Idee, dass Frauen einen Halsring tragen, den man im Notfall opfert, gibt es auch noch in der Eisenzeit?

Tatsächlich ändert sich noch mehr. Als die Bronzezeit zu Ende geht und die Eisenzeit beginnt, ändert sich auch die Wahrnehmung der Geschlechter. Untersuchungen zeigen: In der Bronzezeit in Mittel- und Nordeuropa gab es eine geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung zulasten der Frauen. In der Eisenzeit ändert sich das. Und nicht nur das: Torques, findet man nun häufig in Verbindung mit Kriegern. Es ist plötzlich ein eher männliches Symbol.

Der goldene Torques der Prinzessin von Vix. Er hat zwei Knaufenden, die mit kugeln versehen sind.

Dieser Torques fand sich im berühmten Grab von Vix (Bild: Rosemania CC BY).

Zwar findet man Torques auch in Frauengräbern, wie beispielsweise in Vix, aber das ist selten. Es zeigt sich: Die Geschlechterrollen und die damit verbundenen Ideen ändern sich in der Menschheitsgeschichte – Formen und Kunst ebenso, doch zum Teil bleiben einige Elemente auch erhalten – z.B. dass man immer noch einen Metallstab verdreht. Als Opfer sind Torques allerdings nicht bekannt. Vielleicht war jetzt die Idee, dass sich im Kampf ein Mitglied der Familie opfert, aber das ist meine persönliche Idee dazu. Vielleicht hast du auch eine Idee, was diese Ringe zu bedeuten haben. Dann schreibe mir doch gerne einen Kommentar.

Und wenn du jetzt denkst – ohne Miss Jones hätte ich diesen Teil der Menschheitsgeschichte gar nicht gekannt – dann schicke mir doch gerne ein kleines Trinkgeld, damit ich die Kosten für diesen Blog nicht allein stemmen muss. Danke!

Literatur:

Roland Heynowski: Die Wendelringe der späten Bronze- und der frühen Eisenzeit. In: Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie, Band 64. Bonn 2000.

Hans Hingst, Moorfunde und Kultisches Brauchtum. In: Geschichte Schleswig-Holsteins Bd. II/3, Die Vorrömische Eisenzeit, Neumünster 1964.

Friedrich Laux, Vier Halsringe aus dem Moor bei Wahnbeck im Ammerland. In: Opferplätze und Heiligtum, Kult der Vorzeit in Norddeutschland, Neumünster 2000.

Arthur Pietzsch: Zur Technik der Wendelringe. In: Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege, Beiheft 4, Berlin 1964.

https://100jahre100funde.lwl.org/de/100-fundeepochen/eisenzeit/032-wendelhalsring/

https://www.kulturwerte-mv.de/Landesarchaeologie/Fund-des-Monats/Bisherige-Beitr%C3%A4ge/2022-11-wendelring-mueritz/

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert