Die dunkle Seite Pompeji´s

Quintus ist 27 Jahre alt. Tagein, tagaus lebt er in diesem Hinterhof. Kein Kontakt zur Außenwelt. Gitter vor den Fenstern. Zwangsarbeit in der Bäckerei. Ein Leben voller Unterwerfung. Er geht als Gegenspieler zu einem Esel im Kreis, um den Mühlstein herum. Sie mahlen das Getreide, das die anderen, die mit Quintus in diesem Gefängnis sitzen, dann zu Brot backen. Sie leben ein trostloses Leben im Schatten des Vesuvs:

Ein Blick auf die Schattenseiten des römischen Pompeji´s

Ob es wirklich einen Mann namens Quintus gab, in dieser Bäckerei, weiß ich nicht. Ich habe mir diesen Namen nur ausgesucht, weil er nichts weiter bedeutet als “der fünfte” und ich glaube so gut zu erfassen, was da für ein Fundplatz in Pompeji freigelegt wurde. In einem Wohnhaus in der Region IX, bei der Insula 10 kann man nämlich einen Blick in den Teil der römischen Lebenswelt werfen, in dem nichts in Ordnung war.

Eine Planumsansicht des Befundes. Zu sehen sind die schlechten Lichtverhältnisse und die ausgetretenen Eselpfade.

Eine Drohnenaufnahme des Bäckereiraums zeigt deutlich, wie düster es dort ist.

Es handelt sich um ein Wohnhaus mit gewohnt schicken Wandmalereien. Aber der Arbeitsbereich fällt auf: Keine Kontaktmöglichkeit zur Außenwelt. Alle Fenster zeigen nach innen und sie sind vergittert. Es war ein dunkles und hartes Arbeiten in dieser Bäckerei. Einem Gefängnis gleich. Vermutlich waren es aber keine Straftäter, die hier zur Arbeit gezwungen wurden – was oft bei der Betrachtung der “glorreichen” römischen Zeit vergessen wird: Zu dem Alltag dieser “Hochkultur” gehörte die Sklaverei. (Ich setze Hochkultur in Anführungszeichen, weil es in meinen Augen so etwas wie Hochkulturen nicht gibt – aber dazu schreibe ich ein anderes Mal etwas)

Was kann man heute noch sehen

In der Großbäckerei der römischen Stadt fanden sich bei der Ausgrabung Objekte, die darauf hindeuten, dass hier gerade renoviert wurde, als 79 n. Chr. der Vesuv ausgebrochen ist. Es wurden bei den Ausgrabungen 3 Leichname entdeckt. Opfer des Vulkanausbruches, die zeigen, dass die Räume trotz Renovierung nicht unbenutzt waren. Vielleicht, und das wäre echt furchtbar, waren die Verstorbenen zum Zeitpunkt des Vulkanausbruchs hier sogar eingesperrt. Die Spuren zeigen: Der Raum wurde genutzt.

Der Mahlstein von oben. Drumherum ist der Fußboden sehr abgelatscht. Er besteht aus schwarzen Steinen.

Die ausgetretenen Steine zeigen sehr deutlich, wo der Esel entlang gelaufen ist.

Und zwar oft. Die Trittspuren von den Eseln, die zum Getreidemahlen eingesetzt wurden, sind deutlich zu erkennen. Dass ein solcher Mahlstein von je einem Menschen und einem Esel bewegt wurde, ist wahrscheinlich, weil das in dieser Zeit üblich war. Weder Mensch noch Tier waren dabei frei. Ein Esel wurde meist mit verbundenen Augen stundenlang gezwungen, im Kreis zu gehen. Der Bereich der Brotmanufaktur im Haus ist so abgeschottet, dass nicht einmal der Eselstall einen Zugang zur Straße hatte. Mensch und Tier lebten hier von der Öffentlichkeit abgeschirmt.

Was bedeutete es in dieser Zeit versklavt zu sein

Das hing natürlich immer davon ab, wie viel Glück oder Pech man hatte. Und diese Bäckerei ist ein Beispiel, bei dem die betroffenen Menschen offenbar wirklich Pech mit ihrem “Eigentümer” hatten. Das einzige Tageslicht, dass sie kannten, sahen sie durch vergitterte Fenster. Ein Zeitpunkt der Freilassung oder der Freiheit, also einen Moment der Hoffnung, auf den man hinarbeiten kann, kannten sie nicht. Sie waren hier mit der Aussicht den Rest ihres Lebens im Akkord Brötchen für den Hausherren zu backen.

Der Ofen dieser römischen Brotfabrik. Man sieht an der Außenmauer deutlich - Es gibt keine Fenster

Der Ofen dieser römischen Brotfabrik. Man sieht an der Außenmauer deutlich – Es gibt keine Fenster

Tagein, tagaus, immer das Gleiche, immer wieder von vorne. Das klingt schlimm, ist aber Teil der Ökonomie dieser Zeit gewesen. Vieles von dem, was wir als römischen Luxus kennen und was dazu führt, dass wir bis heute von den Römern fasziniert sind, war eben möglich, weil es diese entrechteten Personen gab. Die billigen Arbeitskräfte ihrer Zeit.

Haben die sich nicht gewährt?

Ja, das haben sie! Eine Lebensrealität, die sich damit aufrechterhält, dass es Menschen gibt, die keine Rechte haben und die unter erbärmlichen Umständen leben müssen, die ist langfristig nicht haltbar. Das Ergebnis war ein stetiger Zustrom zum Christentum. Eine Religion, vor dessen Herren alle Menschen auf einmal gleich waren. 79 n. Chr., als der Vesuv diese Bäckerei verschüttete, stand diese Religion noch in den Startlöchern. Doch die Ideen dieser Glaubensgemeinschaft überzeugten und setzten sich auch deswegen durch, weil die Lebensumstände von vielen nicht tragbar waren.

Frauen hatten im Christentum mehr Rechte und die gesamte unterste Schicht der Gesellschaft ebenso. Das frühe Christentum war also Bestandteil einer Protestbewegung. Stimmen, die laut wurden, weil die Zustände unhaltbar waren. Ein Beleg dafür ist die wirklich menschenunwürdige Art, in der in dieser Bäckerei geschuftet werden musste.

Können wir aus der Geschichte lernen?

Ich hoffe es. Wenn wir an Quintus denken, dann wünschen wir uns für ihn ein lebenswerteres Leben. Wir meinen uns heute in einer vermeintlich freieren, besseren Welt. Aber tatsächlich gibt es viele Orte, an denen heute Waren produziert werden, die wir im Laden kaufen, die ebenfalls unter schlechten Umständen produziert werden. Quintus, könnte auch einer der Zahlreichen geflüchteten sein, die z.B. im Süden Spaniens auf Gemüseplantagen schuften. Er könnte genauso ein Arbeiter in einer Fabrik in China oder Bangladesch sein. Es gibt so viele weitere Beispiele. Und deswegen finde ich, wir können aus Pompeji lernen.

Ein stark ausgetretener Pfad aus massiven Stein.

Der Eselpfad ist so ausgetreten – er erzählt die Geschichte von wirklich harter Arbeit.

Es handelt sich um einen Ort, an dem die römische Geschichte durch einen Vulkanausbruch von einer auf die andere Sekunde angehalten wurde. Und das zu einer Zeit, kurz bevor sich vieles in der römischen Lebenswelt änderte. Wenn wir also betrachten, warum sich eine “Hochkultur” transformiert, dann lohnt es sich auf diese Momentaufnahme zu blicken und Ursachenforschung zu betreiben. Und dass Quintus und all die anderen von Zwangsarbeit betroffenen Personen keine Lust auf diese Lebensumstände hatten, das finde ich plausibel. Wenn sie sich dann einer Religion anschließen, die sie wertschätzt, ist das logisch. Dass das eine Gesellschaft langfristig total verändert, ist also auch Folge davon, wie mit Menschen umgegangen wird. Es ist ein Detail der Menschheitsgeschichte, das wir direkt auf das heute übertragen können und auch übertragen sollten. Denn auch heute leben Menschen in dieser Form der Unsichtbarkeit.

Und wenn dir dieser Gedankengang gefällt, dann lass doch ein kleines Trinkgeld für Miss Jones da, denn die bezahlt dafür, dass du kostenlos Geschichten aus der Menschheitsgeschichte lesen kannst.

Literatur:

https://www.heritagedaily.com/2023/12/prison-bakery-for-enslaved-people-found-in-roman-pompeii/149895

http://pompeiisites.org/en/comunicati/pompeii-prison-bakery-emerges/

Ein Gedanke zu „Die dunkle Seite Pompeji´s

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