Die Erwachsenen laufen zu dem Feld, wo das Getreide wächst. Nur einer nicht. Er schafft es nicht. Eigentlich ist er noch jung und sportlich, aber nachdem diese seltsame Krankheit da war, kann er eines seiner Beine nicht mehr richtig benutzen. Da kommt ihm eine Idee. Was ist, wenn er seinen kaputten Unterschenkel anwinkelt und stattdessen einen Stock an sein Knie bindet und mit dem Stock läuft? Es funktioniert. Der Mann, der heute vor 2.500 Jahren im Turfan-Becken lebte, bastelte sich die erste Prothese der Menschheitsgeschichte
Es begann mit Holzbeinen
Zugegeben, ob es tatsächlich die erste Prothese ist, oder nur die älteste, die wir kennen, wissen wir nicht. Holz zerfällt eben schnell. Deswegen ist es ein Glück, einen solchen Fund aus der Jungsteinzeit überhaupt zu finden. Aber: Das Holzbein wurde nicht nur in China, sondern auch in Europa erfunden. Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass es eine Mehrfachinnovation ist. Denn wenn ein Mensch einen
Körperteil verliert, ist es nur logisch irgendwie zu versuchen diesen Körperteil zu ersetzen. Dass mehrere Menschengruppen die Prothese erfunden haben, ist also ein logischer Schluss, der sich an Funden auch tatsächlich zeigen lässt. Das 2.300 Jahre alte Holzbein aus der heute uigurischen Region ist ein Beleg dafür, dass frühe Prothesen auch gut funktionierten.
Die Geschichte des Mannes mit der ältesten Prothese der Welt
Der Mann hatte sich mit Tuberkulose angesteckt. Er lebte in einer Zeit, in der die Menschen in dieser Region gerade sesshaft wurden. Das heißt, es gab Vieh und es gab auch Getreideanbau. Das ist ziemlich sicher, denn es wurden Getreidebeigaben im Grab des Mannes gefunden. Die Gesundheitsumstände waren zu Lebzeiten des
Mannes also davon geprägt, dass sich Landwirtschaft herausbildete. Man lebte eng mit Tieren zusammen und die übertrugen Krankheiten. Oft in dieser Zeit: von Rindern übertragene Tuberkulose. Der Mann steckte sich an – daraufhin verkümmerte sein Unterschenkel. Aber ansonsten war er gesund. Mit seiner Beinprothese hatte er offenbar ein sehr aktives Leben. Er war kräftig und sportlich.
Hauptsache hübsch
Prothesen gibt es also schon sehr lange in der Menschheitsgeschichte. Aber, weil sie oft aus vergänglichen Material sind, sind nur wenige erhalten. Das Stelzbein aus China wurde erst entdeckt, als ich schon den Bachelorabschluss hatte. Deswegen habe ich in meinen ersten Semestern noch eine andere Geschichte der Prothesen gelernt: “Alles begann edel. Die damals älteste bekannte Prothese der Welt war nämlich der große Zeh der ägyptischen Mumie einer reichen Tochter. Überraschenderweise wurde diese
Zehprothese auch tatsächlich getragen, wie Gebrauchsspuren zeigen. Die Frau, der diese Prothese gehörte, hatte ihren Zeh vmtl. in Folge von Diabetes verloren.” Interessant an dieser Geschichte ist jedoch, wie sich mit einem neuen Forschungsstand unser Blick auf die Geschichte ändert. Durch den Fund des chinesischen Holzbeines wurde aus einer Entwicklung, die einst mit Kosmetik begann, eine Entwicklung, die von vornherein wirklich hilfreich war. Aber das mit der Kosmetik, das hat auch einen wahren Kern:
Etruskische Zahnspangen
Es sieht nicht schön aus, wenn einem ein Zahn fehlt und deswegen haben die Etrusker sich etwas einfallen lassen. Knochen oder Zähne von anderen Leuten wurden in Form gebracht und mit Golddrähten an den umliegenden Zähnen befestigt. Und schon ist die Lücke wieder geschlossen. Diese frühen Gebisse sind im Grunde genommen also Zahnspangen, die mit künstlichen Zähnen Lücken optisch wieder verschließen. Man
kann damit nicht essen, sondern es ist rein dekorativ. Dennoch ist es interessant sich vorzustellen, dass einen eine alte Frau anlächelt und dann kommen diese golden befestigten Zähnlein zutage. Heute haben wir natürlich viel bessere Gebisse. Aber dafür, dass Prothesen nicht nur entweder optisch oder funktional sind, brauchte es weitere Zwischenschritte. Und dabei kam in der Technikgeschichte Funktion für Funktion hinzu. Ein Beispiel ist:
Die eiserne Hand
Von der eisernen Hand des Götz von Berlichingen hat jeder schon mal gehört. Tatsächlich sind von ihm auch 2 eiserne Hände erhalten. Der Ritter starb um 1562, also in einer Zeit, wo es eiserne Hände schon eine ganz Zeit lang gab. Im ausgehenden Mittelalter kam es nämlich häufig zu Verletzungen, gerade nach Auseinandersetzungen, bei denen amputiert werden musste.
Die Mediziner dieser Zeit versuchten dabei ihr Bestes und das hieß eben auch, dass mit Prothesen experimentiert wurde. Die älteste bekannte eiserne Hand ist die “Hand aus Florenz“. Man kann die Finger dieser Prothese zwar schon bewegen, aber nur als Block, also nicht einzeln. Götz von Berlichingen hingegen konnte die Finger seiner Prothese einzeln bewegen und damit angeblich dann sogar ein Schwert oder einen Federkiel halten. Das Ergebnis einer längeren technischen Entwicklung.
Frühe eiserne Hände
Die eisernen Hände tauchen etwa ab dem 15. Jahrhundert auf – klar, so etwas wie einfache Haken als Hilfe bei dem Verlust einer Hand hat es vmtl. schon lange vorher gegeben. Doch in der frühen Neuzeit entwickeln sich dann professionellere Formen. Es waren die Verletzungen von Rittern, die dazu führten. Diese beauftragten Schmiede damit, dass sie z.B. eine neue Hand bräuchten. Die Schmiede versuchten das dann nach allen Regeln ihrer Kunst umzusetzen.
Erst 2023 wurde wieder eine solche Prothese bei einer Ausgrabung gefunden. Sie war Ersatz für 4 Finger. Daumen und Zeigefinger waren dem Mann vmtl. erhalten geblieben. Zumindest der Daumenknochen war auch an dieser Prothese festkorrodiert. Die Prothese ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Aber auf den Zweiten – auf dem Röntgenbild. Das Grab konnte noch nicht genau datiert werden, da es sich aber um eine noch recht einfache Handprothese handelt, könnte es sein, dass es sich bei diesem Fund um die derzeit älteste bekannte eiserne Hand handelt.
Und was sagt uns das über die Menschheitsgeschichte?
Interessant ist, dass Prothesen offenbar sowohl rein funktional als auch rein kosmetisch sein können. Es scheinen beides Faktoren zu sein, die uns Menschen wichtig sind. Natürlich ist es wichtig, selbst laufen zu können. Aber auch ein schönes Lächeln und selbst ein hübscher Zeh sind uns seit langem wichtig.
Die eisernen Hände zeigen, dass man schon lange versucht hat beides zu erfüllen: ästhetische Ansprüche, aber auch Funktionalität. Ich glaube, das hat etwas mit den Grundbedürfnissen des Menschen zu tun, eben nicht nur zu funktionieren, sondern sich auch seine Würde zu bewahren. Oder was denkst du dazu? Schreibe mir doch gerne einen Kommentar!
Literatur:
In diesem Fall habe ich mich alter Uniaufzeichnungen bedient, die ich anhand von Medienberichten nochmals geprüft habe.
https://www.tagesspiegel.de/wissen/der-mann-mit-dem-ersten-holzbein-4615612.html
https://www.scinexx.de/dossierartikel/beinprothese-und-prachtgewand/
https://aid-magazin.de/2023/10/27/mittelalterliches-skelett-mit-handprothese-entdeckt/
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