Es ist eine neue Partei an der Macht. Lange hatte die NSDAP in Lübeck kaum Erfolge zu verzeichnen. Die Stadt aus rotem Klinkerbau ist eine Hochburg der Sozialdemokratie. Doch 1933 übernehmen die Nazis auch Lübecks Rathaus. Es bahnen sich neue Zeiten an. Des Nachts fliegt der Inhalt eines Nachttopfes, er ergießt sich über eine Hakenkreuzfahne. Es wird nach einer unbekannten Person gesucht, die nie gefunden wird. Mit solchen kleinen Gesten des Wiederstandes machen einige deutlich, dass sie nicht einverstanden sind mit der Machtübernahme durch die NSDAP.

Das Holstentor ist 1933 eine riesige Baustelle.
Doch diese hat auch für Lübeck größere Pläne. Da ist es praktisch, dass das Holstentor ohnehin gerade renoviert wird. Es beginnt der Versuch, das Lübecker Wahrzeichen für die Ideologie der Nazis zu nutzen:
Es sind die späten 20er als auffällt, dass irgendwas mit dem Holstentor nicht stimmt. Das Tor neigt sich. 1931 wird deswegen ein Statikgutachten gemacht. Das Ergebnis lautet: Eine Rettungsaktion ist nötig. Das Fundament sackt ab, das Gebäude droht auseinanderzubrechen. Schließlich wird Hans Pieper engagiert, das Holstentor zu sichern.

Auf dieser Postkarte von 1926 kann man, wenn man genau hinsieht, sehen, wie sehr der Turm auf der rechten Seite abgesackt ist, und dass er sich neigt. Und, man sieht auch am Durchgang, wie sehr das gesamte Gebäude abgesackt ist.
Es ist die Zeit der Altertumsvereine, die einen Germanen verherrlichen Nationalismus, mit ihrer Art der Geschichtsbetrachtung, erzeugen wollen. Schon seit 1850 gilt das Holstentor als Zeugnis der germanischen Baukunst. Gelder für eine noch so kostspielige Rettung des historischen Baues zu akquirieren, ist in einem solchen Zeitgeist nicht schwer. Was erst einmal wie eine gute Nachricht klingt für den Denkmalschutz, hat aber vielfach mehr als einen faden Beigeschmack. Denn es geht nicht um die Darstellung und Konservierung der Geschichte, sondern um eine Art der Geschichtserzählung, die angepasst wird an die Ideologien dieser Zeit. Und das umso mehr als 2 Jahre später die NS-Herrschaft beginnt.
Der Baunotfall kommt für die Nazis zu einem praktischen Zeitpunkt
Die NSDAP will die Gelegenheit nutzen. Es werden Pläne gemacht, das Holstentor gleich ganz umzugestalten. Die Friese auszutauschen, gegen eine Erfolgserzählung über die Geschichte der NSDAP. Gigantische Wandmalereien im Inneren des Tors werden geplant. Sie sollen einen heroischen Siegeszug blondschöpfiger Übermacht durch die Geschichte zeigen. Eine Kontinuität von den Wikingern bis hin zur SS in monumentalen Bildern verewigt. Die Idee zu diesem Propagandaort kam ausgerechnet vom Retter des Holstentores, Hans Pieper.

Dieser Entwurf von Arthur Illies wird nie umgesetzt, ist aber heute im Museum im Holstentor ausgestellt.
Die Idee, aus dem Holstentor eine Weihestätte der Nazis zu machen, entwickelt er mit einem anderen Gedanken: Das Holstentor muss eine langfristige Nutzung haben, damit es fortwähren gepflegt wird. Die Nazis nahmen diese Idee dankend an und noch 1933 beschließt der Senat, das „Museum der Wehrhaftigkeit Lübecks“ hier zu errichten. Außen wird das Motto, das am Holstentor Passanten begrüßt „Concordia Domi, Foris Pax“ ab 1933 übersetzt mit: Eintracht drinnen, Wehrfriede draußen. Vor dem Tor liegt nun ein Aufmarschplatz. Der Treffpunkt der alljährlichen Tagung der „Nordischen Gesellschaft“ und des Sonnwendfeuers. Es soll ein Zeichen von Lübecks neuer Würde sein.
Einmal hübsch heroisch bitte
Es beginnt die Zeit, in der auch der gesamte Innenraum an die germanischen Großmachtsideen angepasst wird. Der mittelalterliche Monumentalbau ist einmal mehr nicht historisch genug für die Vorstellungen einer neuen Zeit, die es dieses Mal bitte gerne besonders heroisch hätte. Deswegen werden zwischen 1933/34 zunächst die Stockwerke im Inneren des Baus verlegt.

Die Halle ist bis heute Eindrucksvoll. Wird nun aber zum Darstellen des Themas Seefahrt im Museum genutzt.
Im Nordturm werden das zweite und dritte Geschoss zusammengelegt, um eine große, eindrucksvolle Halle zu erzeugen. Bis heute gibt es dadurch eine Galerie, die man betreten kann, um diese Halle zu bewundern. Wer dabei genau hinsieht, dem fällt auf, wie sehr der Bau im inneren verändert wurde, denn die Positionierung der Schießscharten ist durch die Innengestaltung recht unpassend geworden. Der historische Zusammenhang wurde der Reichspropaganda geopfert.

So war im original weder die Bodenhöhe in der Schießscharte, noch die Anordnung der Kanone – Die hätte sonst die Wand zerschossen.
Auch weitere bauliche Veränderungen entstehen. Bislang hatte das Lübecker Stadttor noch nie eine Falltür, nun wird ein Falltor hinzugefügt. Und eine Ehrenhalle für die Gefallenen des 1. Weltkriegs entsteht im Inneren. Es wird damit begonnen, ein Waffenmuseum zu errichten. Doch die geplanten heroischen Wandmalereien lassen auf sich warten. Die Entwürfe seien einfach zu hässlich und die Baumeister weigern sich, diese Pläne umzusetzen. Dann aber, rückt ein anderes Problem in den Fokus der Renovierungsbestrebungen:
Der Schaden am Fundament ist größer als gedacht.
Das Gebäude war im Morast versunken und musste von außen erst einmal ausgegraben werden. Ein Meter Erde musste rundum abgetragen werden. Erst dann war man auf dem ursprünglichen Bodenniveau des Holstentores angekommen. Große Granitquader wurden unter das Gebäude geschoben. So sollte ein neuer Halt entstehen. Es stellte sich heraus – Das Holstentor war viel massiver abgesackt, als es je jemand vermutet hatte. Sogar Schießscharten lagen bereits vollständig unterirdisch. Es war also höchste Eisenbahn für eine Sicherung des Holstentores. Und diese Sicherung verschlang die meisten von den Nazis für die Weihestätte bereitgestellten finanziellen Mittel. 1934 wird dann die Sanierung des Fundamentes endlich abgeschlossen.

Heute steht das Holstentor immer noch schief, wenn man genau hinsieht, aber sicher auf einem Granitsockel, der Genauso schief aus der Erde herausguckt.
Ein Betonfundament sichert seit dem alles. In die Türme wurde eiserner Ringanker eingelassen. Ein Bauteil, dass das Auseinanderbrechen des Gebäudes verhindert. Das Holstentor ist einmel mehr gerettet.
Die neue Ausstellung
Das Tor wird angefüllt mit Waffen, die in den Museumsräumen ausgestellt werden. Diese haben oft keinen Bezug zu Lübeck,und schon gar keinen Bezug zum Holstentor.

Diese Zeichnung zeigt das Weihefeuer, die Einweihung der neuen Weihestätte von 1935.
Es ist wieder einer dieser Momente wo die Geschichte gezeigt wird, wie sie zu gewesen sein hat, in den Augen der Nazis und nicht so wie sie war. Vor dem Gebäude finden Aufmärsche und Festspiele Stadt. Das Holstentor hat eine neue Aufgabe bekommen: Es ist architektonisches Symbol für den Herrenmenschen geworden. Ab 1934 ist aus dem Monumentalbau, der die Stadtfreiheit garantieren sollte, eine Weihestätte des Militarismus geworden. Bei den Renovierungen wurden auch im äußerlichen Baudekor Hakenkreuze angebracht, diese wurden später wieder entfernt, das letzte ca. 10 cm große, 2005 von einer bislang unbekannten Person geklaut.
Das Ende der Nazizeit
Es folgen harte Bombennächte, die die Lübecker Innenstadt besonders hart treffen. Und danach die Einsicht, dass all diese übertriebenen Nationalgedanken und das aufgeblasene Herrenmenschentum nichts weiter bringen, als Hass und Leid.

Lübecks Altstadt wird stark bombardiert, vor allem Brandbomben richten Schaden an (Bild: CC BY-SA 3.0 de)).
(Und das Holstentor, das all diese Zeiten gut überstanden hat, ist Teil dieses Systems gewesen. Was soll man mit dieser Pilgerstätte nun tun? 1948 entscheidet man sich pragmatisch dafür, die Museumsräume wieder als Museum zu nutzen, dieses Mal aber für Stadtgeschichte. Zunächst steht es aber leer. Es gibt wichtigeres zu tun, schließlich liegt Lübeck in Schutt und Asche. Doch 1950 wird hier wieder ein Museum aufgebaut, und das gibt es bis heute. Wie es heute dort aussieht, und ob sich eine Besichtigung lohnt, das erfahrt ihr in diesem Teil dieser Reihe.
Hier findest du die ganze Serie zum Holstentor:
Literatur:
Wulf Schadendorf: Das Holstentor zu Lübeck – Der Bau und seine Geschichte. Niederdeutscher Verband für Volks- und Altertumskunde 2, Lüneburg 1978.
Wulf Schadendorf: Das Holstentor – Symbol der Stadt Gestalt, Geschichte und Herkunft des Lübecker Tores, Lübeck 1977.
Albrecht Schreiber: Zwischen Hakenkreuz und Holstentor, Lübecker Nachrichten (Hrsg.), Lübeck 1983.
Manfred Finke: UNESCO Weltkulturerbe – Altstadt von Lübeck – Stadtdenkmal der Hansezeit, Hannover 2006.
Schlagwort: Holstentor-Museum. In: Lübeck-Lexikon – Die Hansestadt von A – Z, Antje Graßmann (Hrsg.), Lübeck 2006.
https://www.monumente-online.de/de/ausgaben/2005/5/bollwerk-hanseatischer-macht.php
https://rp-online.de/panorama/deutschland/hakenkreuz-am-luebecker-holstentor-gestohlen_aid-17137845
https://museum-holstentor.de/digital-story-holstentor
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