Das Maria-Magdalenenakloster in Lübeck im Jahr 1520. Die Dominikanermönche beten zum ersten Mal im Angesicht eines neuen Altarbildes. Auf dem Altarbild wird im Hintergrund ein den Mönchen nur allzu bekanntes Gebäude gezeigt. Das Holstentor. Und das sah zu dieser Zeit etwas anders aus, vor allem das Dach.
Aber nicht nur das wird sich ändern. Nur 11 Jahre nachdem dieses Altarbild erschaffen wurde, kommt die Reformation nach Lübeck, der Orden wird aufgelöst, und das Kloster als Armenhaus genutzt. Es ist eine Zeit des Wandels, aber auch eine der Unsicherheit. Ab 1535 befindet sich Lübeck im Krieg mit Dänemark. Die Stadtbefestigung wird einmal mehr ausgebaut, es ist der Startpunkt von Teil 3 meiner Reihe zu der Geschichte des Holstentores:
Das monumentale Tor ist eingebunden in Wallanlagen, welche schützen sollen, aber mittlerweile etwas veraltet wirken. Ab 1554 wird deswegen alles mit einem Dreck bzw. Moorwall geschützt, der südlich Lübecks verlief und um ein vielfaches gewaltiger ist als die bisherige Befestigung. Die modernsten Waffen dieser Zeit befanden sich in dem Stadttor, Kanonen an den Schießscharten. Allerdings – von den Originalwaffen fehlt heute jede Spur. So muss man sich auf die Aussagen aus alten Texten verlassen. Diese legen nahe, dass es im Holstentor einstmals 48 Schusswaffen gab, in einem System mit Geschütznieschen – und immerhin, die Nischen lassen sich bis heute in dem Bau beobachten. Aber – es ist auch ein bisschen Schein dabei. Wer sich in die heute noch existierenden Geschütznieschen begibt und überlegt, wo die Geschütze, denn hintreffen würden, wenn man sie von dort aus abfeuert, wird feststellen: Man, würde die eigenen Befestigungsanlagen zerstören, die direkt vor dem Tor verlaufen.
Egal – Denn: Seit dem Bau des Holstentores hat sich die Strategie bewährt, die Befestigungsanlage so furchteinflößend zu gestalten, dass es ohnehin keiner wagt anzugreifen. Und so wird die Befestigungsanlage immer imposanter und größer.
Lübecks gewaltige Festung ab dem 16. Jahrhundert
Im 16. Jahrhundert ragen nur noch die runden Tortürme aus den Wällen empor, die die Stadt nun umgeben. Das Stadttor wird zusätzlich mit diesem gewaltigen Wall geschützt. Und dieser Wall bekommt wiederum einen Zugang durch ein weiteres Tor.
Das Holstentor, das einst als Vortor zur Stadt gedacht war, bekommt dadurch ein ganz eigenes Vortor. Es handelt sich um einen schmucken Renaissancebau, der auf den Wall aufgesetzt wurde. Das Tor erinnert in an niederländische Vorbilder. Es hat einen kleinen Durchgang, der durch die Wallanlagen zum eigentlichen Holstentor führt, das aus der Ferne in dieser Zeit gar nicht mehr zusehen sein kann, da es völlig in den neuen Wallanlagen verschwindet. Der Grund: Die Technik im alten Torbau ist veraltet und es wird einfach zweckdienlich weiterverwendet in den neuen Anlagen.
Die Durchfahrt durch den Wall ist bedrückend, die gewaltigen Festungsanlagen einschüchternd. Auch in Details wird aufgerüstet. Das Dach des Holstentores z.B. neu gedeckt, damit kein Brandsatz es ein Flammen setzen kann. Ein neues Schieferdach ersetzt das alte, das mittlerweile einige Mängel aufzeigt. “CONCORDIA DOMI FORIS PAX” – das bedeutet drinnen Eintracht, draußen Frieden. Es ist der Wahlspruch von Lübeck, man weiß nicht wie alt er ist und wo er herkommt. Aber seitdem die Wallanlagen so massiv verstärkt werden, ist dieser Spruch am Holstentor zu lesen. Die abschreckende Wirkung der Wallanlagen hat Erfolg, und das Motto der Stadt wird Realität. Der Dreißig jährige Krieg zieht an Lübeck vorbei.
Mehr sogar: Lübeck wird Verhandlungsort des Lübecker Friedens. Einem Abkommen aus dem Jahr 1626, in dem das Heilige Römischen Reich und Dänemark Frieden schließen. Eine gute Grundlage für Lübeck, dass direkt an der dänischen Grenze liegt, und damit unmittelbar betroffen von einem Konflikt mit den Dänen ist.
Das Holstentor in einer Zeit der Leichtigkeit
Mit dem Frieden kommen bessere Zeiten. 1710 wird schließlich der Wahlspruch im Sinne des Barock umgestaltet in: “Concordia domi et foris pax sane res est omnium pulcherium”. Es ist damit nun von Harmonie in In- und Ausland die Rede, und davon, dass Frieden das allerschönste in der Welt ist. Die Formulierung ist also verspielter. Man spürt es deutlich, es ist eine Zeit der Leichtigkeit in Lübeck. Die Befestigungen werden dennoch fortwährend auf den neusten Stand gehalten. Das größte Sorgenkind dabei ist jetzt die Brücke über die Trave. Sie wird 1734 erstmals durch einen Steinbau ersetzt, der eine höhere Stabilität als die alte Holzkonstruktion hatte. Zu dieser Zeit ist die Stadtbefestigung Lübecks auf größtmögliche Weise expandiert. Die Wälle, die sich auf beiden Seiten der Trave entlangziehen, sind gewaltig.
Und das Holstentor ist nur noch ein kleines Stellschräubchen in einem System aus Wällen an einer Bastion Lübecks. Die riesigen Befestigungen erstrecken sich über weite Teile heute bebauter und bewohnter Gebiete. Alles ist so gewaltig geworden, dass das Befestigungssystem schließlich implodiert. Gegen 1750 sind die riesigen Wallanlagen veraltet. Sie sind einerseits gigantisch und andererseits durch immer neue Militärtechnik mittlerweile ohne die gewünschte Schutzfunktion.
Also geben die Menschen der Stadt den grünen Wällen eine neue Aufgabe: Sie werden als Grünanlagen genutzt. Ein Naherholungsgebiet für den Wochenendausflug. Was als Freizeitgestaltung einiger beginnt, wird schließlich sogar von der Stadt unterstützt. Die pflanzt offiziell Ulmen und Linden. Auf Bildern dieser Zeit ragen die Turmspitzen des Holstentores hinter den Alleen dieser Parkanlage hervor. Doch diese Phase hält nicht lange vor.
Das Ende der Befestigung
Die Gebiete sollen anders genutzt werden. Stadtbaumeister Johann Adam Soherr wird schließlich beauftragt, die Endfestung vorzunehmen. Der Wall ist zu dieser Zeit nichts weiter als ein löchriger Sandberg.1783 beginnt der Abbruch der Stadtmauern, und das System aus den verschiedenen hintereinander postierten Toren wird aufgelöst. 1794 werden die äußeren Stadttore abgebaut und ab etwa 1809 auch die Barocken Wälle abgetragen.
Bald ist das Holstentor wieder weithin sichtbar. Es bleibt zunächst stehen, wenngleich es als nutzlos gilt. Immerhin ist es schmuckvoll, wenn auch durch den Zahn der Zeit reichlich ramponiert. 1841 wird der Spruch an der einst so wichtigen Festungsanlage einmal mehr verändert. Neue Zeiten brechen an, und ein einfaches “Concordia domi et foris pax” – also Frieden für das In- und Ausland begrüßt jeden, der das Tor durchschreitet. 1863 wurde die Inschrift ein letztes Mal verändert.
Das “et” wurde aus dem alten Satz entfernt, und die Aussage ein letztes Mal minimal verkürzt. Es ist das lange 19. Jahrhundert. Eine Zeit in der die Lübecker darüber Diskutieren, das mittlerweile alte klapprige und verwahrloste Holstentor endgültig abzureißen. Aber davon erzähle ich euch im vierten Teil dieser Reihe in einer Woche.
Hier findest du die ganze Serie zum Holstentor:
Literatur:
Wulf Schadendorf: Das Holstentor zu Lübeck – Der Bau und seine Geschichte. Niederdeutscher Verband für Volks- und Altertumskunde 2, Lüneburg 1978.
Wulf Schadendorf: Das Holstentor – Symbol der Stadt Gestalt, Geschichte und Herkunft des Lübecker Tores, Lübeck 1977.
Manfred Finke: UNESCO Weltkulturerbe – Altstadt von Lübeck – Stadtdenkmal der Hansezeit, Hannover 2006.
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