Es ist eine große Fröhlichkeit zu spüren, als im August 1914 ein Großteil der Männer auszieht, um in die Schlacht zu ziehen. Der Anfang des Ersten Weltkrieges fällt auch im Schillertheater an der Grenze zwischen St. Pauli und Altona in eine Phase der Freude. Mit dem Debüt von Hans Albers hatte hier wenige Monate zuvor eine Zeit der ausverkauften Ränge begonnen (siehe hierzu Teil 2 dieser Serie). Doch der Krieg verläuft nicht wie geplant. Die Männer sind nicht wie versprochen ein paar Wochen später zurück. Und das Theater in der Blechdose schrabt mehr und mehr einer Pleite entgegen. Ich möchte euch begrüßen zu dem dritten Teil dieser Serie über die Schilleroper, die mit einer schweren Zeit beginnt:
Es gibt kaum noch Theatergäste. Die Wohnungen sind kalt im St. Pauli dieser Tage, es gibt Hunger, die Mieten steigen ins Unermessliche. Schlechte Zeiten für Schauspielhäuser sind angebrochen. Reparaturen können nicht bezahlt werden. Was kaputt ist, bleibt kaputt. Die Schauspieler werden von der Liste der Ausgaben gestrichen. Laienschauspieler treten jetzt auf, oft verwundete Soldaten, die sich den Sinn des Krieges mit ihren Aufführungen schönreden.
Dann kommt die Idee für etwas Neues: Benefizveranstaltungen. Höhere Töchter sammeln Geld für Waisenhäuser, trauern für gefallene Offiziere. Das ist zu ehrlich für den Zeitgeist – Zuviel der Realität – Realität ist gleichbedeutend mit Kritik. Welche Frechheit sich das Theater mit diesen Veranstaltungen erlaubt, erzürnen sich die Kritiker. 1916, in einer Zeit der großen Hungerproteste, bei denen in Hamburg Brotgeschäfte geplündert werden, hält das Theater den Umständen nicht mehr stand, es ist bankrott.
Der Versuch alles besser zu machen
1917 übernimmt dann Hans Pichler das Haus. Er ist zwar theaterunerfahren, aber immerhin der Schwiegersohn des Chefs des Schauspielhauses. Pichler meint es wirklich ernst mit seinem Theater. Er frickelt nicht, er saniert wirklich. Dem Publikum gefällt, was es sieht. Keine kaputten Sitze mehr, Wände, die auch echte Wände sind und ein Programm, das konservativ patriotische Stücke zeigt. Selbst die Kostüme sind jetzt besser.
Pichlers Schwiegervater erlaubt den Zugriff auf den Fundus des Schauspielhauses. Kaum läuft das Theater wieder, steht erneut eine Zeitenwende bevor: Es ist der 6. November 1918, als ein Zettel am Eingang des Schillertheaters hängt. Eine einfache Notiz: Der Sommernachtstraum muss wegen Revolution heute ausfallen. Der Kieler Matrosenaufstand war auch in Hamburg angekommen, das Heiligengeistfeld im Laufe des Tages von Matrosen eingenommen worden. Diese schwangen ihre Säbel. Das Problem für das Schillertheater: Die meisten Darsteller lebten auf der anderen Seite des Heiligengeistfeldes – unmöglich, so zur Arbeit zu gehen.
Kommunisten und Sozialdemokraten in der Oper
Direktor Pichler nutzte den freien Abend und stellte das gesamte Programm um. Aus dem patriotischen Hause wird über Nacht eine sozialdemokratische Bühne. Neue Regeln werden eingeführt. Der Todestag von Rosa Luxemburg zum Trauertag erklärt, an dem nicht gespielt werden darf. Es sind bitterarme Zeiten in Hamburg, an Ostern 1919 kommt es zu 560 Diebstählen und Plünderungen, der Hunger scheint einfach nicht zu Enden.
Nur 4 Tage später gibt es eine Zeitenwende und Hamburg bekommt das erste Mal eine wirklich demokratische Bürgerschaft, die die Stadtverfassung neu schreibt. Pichler fehlen unterdessen die Mittel sein Theater gut zu führen und ist 1921 schließlich
bankrott. Doch das einzige, was in diesen schweren Zeiten hilft, ist Humor, denkt sich eine kommunistische Schauspieler-Notgemeinschaft, die das leere Theater einfach besetzt und weiter betreibt. Trockener hamburger Humor über den beschwerlichen Alltag wird jetzt dargeboten. Dann kommen die goldenen Zwanziger auch nach Hamburg. Und mit ihnen übernimmt ein Direktor das Schillertheater, dem der rote Anstrich der Schauspieler Notgemeinschaft sehr gut gefällt.
Floratheater und Schillertheater werden eins
Max Ellen, der Direktor des Floratheaters am Schulterblatt übernimmt 1922 auch die kleine ehemalige Zirkushalle aus Blech. Das Floratheater, empfing bis zu 6.000 Gäste am Abend. Das Riesentheater war bislang Konkurrenz für das Schillertheater gewesen, das nur 200 m entfernt, aber doch in einer anderen Stadt lag. Nun aber gehören beide Häuser zusammen, genauso wie die beiden Städte immer mehr zusammengewachsen sind.
Max Ellen lässt Stücke, die im Floratheater gut gelaufen sind, aber nach und nach nur noch ein zahlenmäßiges geringeres Publikum anziehen, in der Schilleroper aufführen und auslaufen. Die Stücke haben so eine längere Laufzeit, beide Bühnen entlasten sich gegenseitig. Qualitätvolles Theater kann so geboten werden. Max Ellen gibt die Bühne aber weiterhin frei für die Veranstaltungen von kommunistischen und sozialdemokratischen Organisationen. Er selbst ist überzeugter Antinationalist. Auf diese Weise möchte so etwas gegen die Zeichen einer neuen Zeit tun: Es geht um den immer stärker werdenden Antisemitismus. Denn Ellen selbst ist Jude.
Braune Hemden in den Straßen, und Gedanken in den Köpfen
Lange läuft es gut für Max Ellen. Sein einziger Konkurrent sind die Kammerspiele, die sich ebenso Themen der Arbeiterbewegung widmen. Doch dann kommt der Schwarze Freitag. Die Wirtschaftskrise überrollt die Doppelstadt mit dem Elbhafen, dem Tor zur Welt. Immer öfter marschieren die Braunhemden der NSDAP durch die Straßen. Die Menschen haben kein Geld, um in das Theater zu gehen. Und wenn doch – wer geht in diesen Zeiten noch zu einem Hause im roten Gedankengut, das von einem Juden geführt wird? 1930 rückt die Baupolizei an und schließt das Schillertheater.
Es ist finanziell nicht möglich, einige Auflagen baulich umzusetzen. Ellens politische Freunde bestreiten die baulichen Mängel nicht, glauben aber an Schikane. Aus Briefwechseln und Schriften zwischen den Behörden, der Gewerbepolizei, der Baupolizei, dem Hamburger Bühnenverband und auch mit Max Ellen lässt sich ablesen: Verschiedenste Gruppierungen wollten die Schließung und suchten einen Vorwand.
Ellen´s Bühnen waren eine große Konkurrenz, die Stadt will an Stelle des Schillertheaters einen Spielplatz errichten, aber vor allem ist Max Ellen Jude. Er versucht die Situation zu retten, besorgt Geschenke für Hamburger Politiker, die dann wegen Bestechlichkeit auf der Anklagebank landen. Die schlechte Presse führt dazu, dass noch weniger Gäste kommen. Max Ellen verliert seinen Rückhalt und verkauft schließlich das Schillertheater, um seine Steuerrückstände auszugleichen.
Die Rote Fahne auf dem Leuchtturm
Dann passiert etwas Überraschendes. Nicht die Stadt Altona kauft das Gelände, um hier den geplanten Spielplatz zu errichten, sondern Otto Wolff. Wolff ist von Beruf Justizrat und hatte bislang mit Theatern nicht viel zu tun. Es überrascht alle, dass er das Programm des Schillertheaters erst einmal so weiterlaufen lässt, wie Ellen es geplant hatte. Wolff plant eine Neugestaltung des ganzen Gebäudes.
1932 ist es so weit. Das Haus wird im Stile der neuen Sachlichkeit umgebaut und modernisiert. Die Arbeiten sind im vollen Gange, als sich die Ereignisse plötzlich überschlagen. Es ist der 17. Juli. Gegen 12:30 versammeln sich Angehörige der SA in Altona zwischen dem Bahnhof und dem Rathaus. Sie wollen einen Werbemarsch machen. Es dauert nicht lange und Gegner stellen sich dem Aufmarsch der Nazis in den Weg. Die Polizei versucht, die Gruppen auseinander zu halten. Schüsse fallen. Zwei Ranghohe SA Mitglieder werden von einem Dach aus erschossen. Die Situation gerät außer Kontrolle. Weitere Schüsse fallen, Blut auf den Straßen. 18 Menschen sterben. Einige davon sind einfache Anwohner*innen, die meisten erschossen von der Polizei. Gegen 19 Uhr ist alles ruhig.
Doch auf dem Dach der Schiller Oper, oben, auf dem Leuchtturm, weht plötzlich eine rote Fahne. Es ist bis heute unbekannt, wer diese Fahne auf dem Dach angebracht hat. Es waren ja Bauarbeiten. Dass es einige mit dem Theater verbundene Menschen waren, die hier ja lange einen Ort hatten, ist genauso möglich, wie dass eine Kommunistengruppe die prominente Lage des Daches mit Leuchtturm genutzt hat. Wirklich untersucht wird das nie. Die SA-Truppen hohlen die Fahne schnell wieder vom Dach. Für sie steht der Schuldige ohnehin fest. Den unweit der Theaterbaustelle, in der Lerchenstraße, lebt zu dieser Zeit Bruno Tesch, ein Kommunist.
Für die Renovierung spielen dieser Ereignisse erst einmal kaum eine Rolle. Und so ist es September 1932, als das Haus wieder eröffnet. Alles ist modern, erstrahlt in einem freundlichen Glanz. Es gibt jetzt bequem gepolsterte Klappsitze und ein 365 Tage Programmheft. Das Theater ist jetzt eine Oper.
Eine Idylle inmitten von den Straßen, in denen im folgenden Winter Kommunisten und Nationalisten harte und brutale Kämpfe austragen. Schließlich übernimmt die NSDAP die Macht. Es ist der 1. August 1933 als der 20-jährige Bruno Tesch von den Truppen der neuen Machthaber in das Altonaer Gericht verfrachtet wird. Man kann ihm zwar nicht einmal nachweisen, dass er eine Waffe hatte, als er vor einem Jahr bei der Blockade der SA dabei war, noch, dass er es war, der die rote Fahne auf dem Dach der Opernbaustelle angebracht hat, doch noch am selben Tag wird Bruno Tesch gemeinsam mit drei seiner Genossen im Innenhof des Gerichts geköpft. Es sind die ersten politischen Hinrichtungen der NS-Herrschaft.
Ein rauer Wind weht ab jetzt durch ganz Deutschland und das geht auch nicht an der Schilleroper vorbei, vor dessen Tür zunächst ein fast trotzig wirkendes Schild mit der Aufschrift „Hier werden Juden beschäftigt“ steht. Doch diese Geschichte erzähle ich euch im nächsten Teil dieser Serie.
Alle Teile der Serie über die Schilleroper:
1. Der Zirkus in der Konservendose
5. Der letzte Akt ein Trauerspiel
Literatur:
Horst Königstein: Die Schiller-Oper in Altona, Frankfurt am Main 1983.
Anke Rees: Die Schiller-Oper in Hamburg – Der letzte Zirkusbau des 19. Jahrhunderts in Deutschland, Hamburg 2010.
https://www.st-pauli-archiv.de/fotos
https://www.circus-paul-busch.de/inhalt_-1_history.htp
https://www.ndr.de/geschichte/Schiller-Oper-Altona-Hamburg-Verfall-Denkmalschutz-Ruine,schilleroper178.htmlhttps://www.youtube.com/watch?v=1DuRkSWFlNg
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