Die goldene Zeit des Schillertheaters

Eine Epidemie liegt über Hamburg. Es ist 1892 als die Cholera ausbricht – ein brüllend heißer Sommer. Am 15. August gibt es den ersten Fall, am 16. August sind es gleich zwei und am 17. schon vier. Es gibt den ersten Toten. Einzelfälle, die die Behörde nicht an die große Glocke hängen will. Den Hafen stilllegen – das würde der Wirtschaft schaden. Am 20. August gerät der Erreger in das Trinkwasser. Es gibt 66 neue Fälle, Tags darauf 113 weitere und einen Tag später kommen 123 hinzu. Am 24. August kann die Stadt es nicht mehr verheimlichen. Robert Koch begutachtet die Hamburger Krankenhäuser, in deren Fluren sich die Leichen stapeln.

Männer mit einem Wagen in weißen Kitteln auf einem schwarzweißbild.

Die Straßen riechen nach Chlor, denn Desinfektionskommandos reinigen die Stadt. (Bild: von 1892, Gemeinfrei).

Schließlich werden Möbelwagen und andere geschlossene Fahrzeuge konfisziert. Hamburg hat nicht genug Leichenwagen. Am 26. August beschließt der Senat Maßnahmen. Das öffentliche Leben wird heruntergefahren. Hamburgs Vergnügungsmeile steht still. Die Straßen sind leergefegt. Am Ende sind es fast 17.000 Erkrankte und mehr als 8.000 Tote. Die Preise steigen in der Folge. Es gibt Lohntarifstreiks. 1896 blockieren dann 11.000 Arbeiter den Hafen. Die Löhne werden nicht gezahlt. Ein Problem, denn: die meisten Arbeiter leben in Altona, also in Schleswig-Holstein, ihnen fehlt das Hamburger Bürgerrecht und sie haben dadurch kaum Rechte. Es ist nicht daran zu denken Geld für so etwas Unwichtiges wie eine Zirkusvorstellung auszugeben. Das ist der Startpunkt vom zweitem Teil meiner Serie über die Schilleroper an der Lerchenstraße (Teil eins, hier klicken):

Kupferstich. Eine schmucke Halle voll mit Männern die Disskutieren. Alle tragen schwarze Hüte

Versammlung der Kaiarbeiter im English Tivoli 1896. (Holzstich: Emil Limmer, illustrierte Zeitung 4.12.1896 -aus altersgründen Gemeinfrei).

Der Zirkus Busch in der Wellblechhalle an der Grenze zwischen St. Pauli und Altona hat monatelang keine Veranstaltungen. Das Leben steht still. Kein Lachen, kein Applaus, keine Einnahmen. Doch der kleine Zirkus ist schlechte Zeiten gewohnt und hat damit Leben gelernt. Wenn nichts mehr geht, wird halt improvisiert. Der große Konkurrent Zirkus Renz an der Reeperbahn hat größere Schwierigkeiten, er ist schlechte Zeiten nicht gewohnt und die laufenden Kosten sind sehr viel höher. Die Folge der Epidemie: Zirkus Renz kann sich nicht erholen und geht pleite.

Ein Großes Zirkusgebäude mit Doppeldach. Es ist Rund und hat einen gigantischen Vorbau im stile der Gründerzeit.

Der Bau des Circus Renz an der Reeperbahn (Bild: Gemeinfrei).

Der kleine Familienbetrieb Busch erholt sich nicht nur, er verdient durch die geringer gewordene Konkurrenz und dem großen Vergnügungswusch nach der Kriese, sogar mehr als zuvor. So kommt es, dass Paul Busch zwei Jahre nach Ausbruch der Choleraepidemie so solvent ist, dass er das größere, schönere und lukrativere Zirkusgebäude Renz an der Reeperbahn einfach kauft – und ausserdem die anderen Häuser von Circus Renz in Berlin und Wien. Zirkus Busch zieht an die prominente Adresse. Paul Busch begründet eine erfolgreiche Zirkusdynastie. Bis heute touren seine Nachfahren mit einem Wanderzirkus, der noch immer seinen Namen trägt.

Aus dem Zirkus wird ein Theater

Der Wellblechbau an der Nachtigallenstrasse aber steht nun erst einmal leer. 5 lange Jahre passiert hier nichts. In der Zwischenzeit wurde auch das nahegelegene Heiligengeistfeld zum Teil der Vergnügungsindustrie. Der Dom, das ist ein riesiger Jahrmarkt, findet inzwischen einmal im Jahr hier statt. Schließlich findet sich aber ein neuer Eigentümer für das Blechgebäude. Ernst Michaelis, der 1904 erst einmal den Bau saniert. Viel wird dabei verändert. Einzig der Stahlbau, der den Effekt erzielt, dass hier ein Zirkuszelt steht, wird belassen wie angedacht, aber in ein Theater verwandelt. Die Pläne sind pompös: Die Zuschauerränge werden erweitert, die Bühne und die Manege werden neu gemacht. Alles mit einem großen Tam Tam, denn das neue Theater soll solventeres Publikum anlocken. Alles soll besser, schöner und vor allem heller werden.

Eingang des Schillertheaters. Eine Gründerzeitliche Fassade, die seltsam schmutzig wirkt.

Der neue Eingang des Schillertheaters, ein Jahr nach der Renovierung (Bild: Gemeinfrei)

Die Umsetzung von Michaelis´ Ideen ist allerdings qualitativ fragwürdig – es wird nach außen geprotzt und nach innen gespart – nicht gebaut, sondern gefrickelt und das Ganze dann verkleidet oder verputzt. Man könnte es Bau-Kosmetik nennen. Die neue Bühne wird einfach auf die Alte drauf gestellt. Das hat zur Folge, dass wenn man eine der neuen Bühnenbohlen anhebt noch der Geruch der Wildtiere, die hier früher aufgetreten sind, zu riechen ist.

Erst schlecht gestartet, dann stark nachgelassen

Als das Theater eröffnet werden soll, steht die Presse bereit. Der neue Name des Hauses ist jetzt: Schillertheater, denn anlässlich des 100. Todestages des Literaten soll Wilhelm Tell als allererstes gezeigt werden. Doch, das Gefrickel rächt sich. Die Feuerwehr schickt die Gäste und die Presse, die am Eröffnungstag vor den Toren warten, wieder nach Hause. Der eiserne Vorhang, eine Feuerschutzvorrichtung, lässt sich nicht bedienen. Als dann endlich doch eröffnet wird, ist von dem anspruchsvollen Geist von Michaelis nichts mehr übrig geblieben. Die Altonaer Zeitungen sind enttäuscht. Das Theater ist im Sinne einer Zweiklassengesellschaft gestaltet.

Eine Platzkarte des Schillertheaters. Die ehemalige Manege ist jetzt mit Sitzplätzen bestückt (Bild: Gemeinfrei aus altersgründen).

Durch die Freiheiten, die Altona in seiner Geschichte seit Langen genoss, widerstrebt das dem Selbstverständnis der hier lebenden Bevölkerung. Das Programm liefert mehr Quantität als Qualität. Einzig gelobt wird der helle Anstrich des Hauses. In der Folge gibt es vor allem billige Massenunterhaltung. Bunte, grelle Vorstellungen, ausgerichtet auf ein bitterarmes Publikum. Der Eintritt kostet 80 Cent. Ernst Michaelis hat sich verschätzt und schrammt mit seinem Theater lange an der Pleitegrenze entlang.

Blick von der Bühne auf die Zuschauerränge (genaue Datierung nicht möglich – vmtl. aus altersgründen Gemeinfrei)

Das Gefrickel rächt sich auch auf andere Weise. Schnell ziehen Ratten und anderes Ungeziefer in die Hohlräume ein, die sich hinter den Verkleidungen der Baumängel ergeben haben. Die Plage ist so groß – die Tiere laufen bei den Proben einfach über die Bühne. Degen und Säbel, die als Requisiten dienen, werden von den Darstellern verwendet, um die Ratten aufzuspießen und sie aus dem Haus zu bringen.

Fotos von 3 Männern und 3 Frauen.

Die Belegschaft des Stückes “Die Schiffbrüchigen” (Bild von 1913).

Es ist ekelig im Schillertheater und es stinkt. Michaelis bekommt die Probleme nur beschwerlich in den Griff. Dabei hat er auch einen Anspruch, dem er gerecht werden will. Er möchte seine Bühne nutzen, um aufzuklären, zum Beispiel über Geschlechtskrankheiten. So entwickelt er das Stück „Die Schiffbrüchigen“. Das kann er Querfinanzieren durch Zuschüsse einer Gesundheitsorganisation. Mit diesem Stück Unterhaltung, das zur allgemeinen Gesundheit beitragen soll und über Syphillis aufklärt, geht Michaelis schließlich auf eine Tournee.

Schwarzweißgruppenfoto mit zwei duzend Ringkämpfern.

Es wird alles versucht um Publikum anzulocken, 1909 gibt es z.B. Ringkämpfe (Bild: aus altersgründen Gemeinfrei).

1906 übernimmt Carl Meyerer die Aufgabe des Direktors des Theaters in dem alten Zirkusgebäude, das ist finanziell mittlerweile sehr weit unten angekommen. Aber: Meyerer ist kreativ. Seine Stücke sind teils auf Platt, damit möchte er das Hamburger Publikum ansprechen. Und weil Schauspieler für die Kasse des Hauses zu teuer sind, engagiert er stattdessen Hafenarbeiter. Auch die Tanzgruppen werden eingespart. Anstelle dessen tanzen die Kinder der Nachbarschaft jetzt auf der Bühne des Schillertheaters. Doch es gibt weitere Probleme. Im Winter bleibt das Publikum weg. Es ist bitterkalt, man kann die Zirkushalle nicht heizen. 1909 muss das Haus schließlich geschlossen werden. So kommt Ernst Michaelis zurück und übernimmt wieder den Direktorenposten.

Jetzt soll alles besser werden

Er startet ein zweites Mal mit einer Baukosmetikoffensive. Der Zuschauerraum wird gestrichen, dieses Mal in Grün. Es gibt einen neuen Samtvorhang für die Bühne – ebenfalls in Grün. Michaelis glaubt an das Schillertheater, als es keiner mehr tut. Seine Idee ist nun, eine Volksoper zu schaffen. Das breite Publikum zu begeistern, Oper gespielt von Talenten aus Hamburg für Hamburg. Und tatsächlich kommt der Durchbruch. Plötzlich sind die Ränge ausgebucht. Es spricht sich schnell herum, es gibt da diesen einen Künstler, der die Herzen des Publikums im Sturm erobert. Es ist Hans Albers, der die Ränge füllt wie ein Magnet. Jetzt kommen die goldenen Zeiten.

Hans Albers (Das Bild Endstand erst 9 Jahre später – Gemeinfrei).

Es passiert nicht mehr nur im Traum, sondern auch in diesem Theater, dass nach den Vorstellungen Blumen auf die Bühne geworfen werden. Doch nicht nur das. Das Publikum wirft oder legt alles Mögliche auf die Bühne, um Wertschätzung auszudrücken. Von der Mettwurst bis hin zum Kochgeschirr. Einmal gar ein ganzes Faltboot. Das Schillertheater hat es geschafft. Diese Bühne ist jetzt Bestandteil der Yellowpress. Skandale und Skandälchen, ein begeistertes Publikum, ausverkaufte Ränge. Michaelis hat endlich Geld und baut nebenbei seine Tourneetruppe mit den Gesundheitstheaterstücken weiter aus. Das ganze Ensemble ist zuversichtlich, eine gute Zukunft zu haben.

Schwarzweißfoto. Die Straße ist voll mit Menschen. In der Mitte eine Militärparade. Das Foto ist von einem Balkon gemacht.

Im August 1914 ziehen auch nahe der Schilleroper Männer in den Krieg. Das Bild wurde von einem Balkon nahe des Bahnhofs Sternschanze gemacht, der Blick geht in Richtung der Kreuzung Schanzenstr./kleiner Schäferkamp (Bild: Gemeinfrei aus Altersgründen).

Doch all das währt nicht lange. Die goldene Zeit hat sich den falschen Moment ausgesucht. Es ist 1914, noch nicht einmal ein halbes Jahr her, dass Hans Albers sein glorreiches Schilleroperdebüt feierte, als auch in Hamburg und Altona junge Männer hoffnungsvoll und fröhlich in einen Krieg ziehen, den wir heute als Ersten Weltkrieg bezeichnen und der großes Leid bringen wird. Wie das kleine Theater im Wellblechzirkus an der Grenze zwischen Hamburg und Altona diese Zeit erleben wird, damit geht es weiter in der nächsten Folge dieser Serie.

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Alle Teile der Serie über die Schilleroper:

1. Der Zirkus in der Konservendose

2. Die goldenen Zeiten

3. Die rote Schilleroper

4. Der letzte Vorhang

5. Der letzte Akt ein Trauerspiel

Literatur:

Horst Königstein: Die Schiller-Oper in Altona, Frankfurt am Main 1983.

Anke Rees: Die Schiller-Oper in Hamburg – Der letzte Zirkusbau des 19. Jahrhunderts in Deutschland, Hamburg 2010.

https://www.st-pauli-archiv.de/fotos

https://schilleroper-ini.blogspot.com/2021/09/ausgebremst-verzockt.html

https://www.anke-rees.de/schiller-oper/

https://www.denkmalverein.de/gefaehrdet/gefaehrdet/neubau-statt-schilleroper

https://www.circus-paul-busch.de/inhalt_-1_history.htp

https://www.ndr.de/geschichte/Schiller-Oper-Altona-Hamburg-Verfall-Denkmalschutz-Ruine,schilleroper178.htmlhttps://www.youtube.com/watch?v=1DuRkSWFlNg

https://www.geo.de/wissen/22929-rtkl-hansestadt-im-jahr-1892-cholera-hamburg-ein-lehrstueck-ueber-den-umgang-mit

6 Gedanken zu „Die goldene Zeit des Schillertheaters

  1. Danke für diese schöne Geschichte. Eine Zeitlang führte mich mein Arbeitsweg dort entlang, und oft genug bin ich am Pferdemarkt durch den Torbogen, um mir die Schilleroper anzusehen. Bei ungenutzten Gebäuden komme ich unweigerlich ins Träumen, und hab mir immer gern vorgestellt, was man da alles draus machen könnte … das Gezerre zwischen der Stadt und den Eigentümer*innen empfand ich immer als unwürdig diesem wunderbaren Stück Hamburger Baugeschichte gegenüber. Nun scheint es ja irgendwie weiterzugehen, ich bin sehr gespannt (muss mir die Seite des Projekts noch durchlesen).

    Vor Jahren habe ich dort auch noch Konzerte gesehen, ich weiß gar nicht, bis wann der Laden noch genutzt wurde. Das werde ich ja vielleicht in Teil 3 erfahren 😀
    Grüße

    • Hey!

      Ich kann total nachvollziehen, was du schreibst. Wie es weiter geht, ist leider sehr unsicher, weil die Eigentümerin sehr intransparent mit allem umgeht. Der aktuelle Stand kommt aber erst in Teil 5, denn die Geschichte dieses Hauses ist nicht nur Architektonisch, sondern auch historisch einzigartig, und es gibt soooo viel zu erzählen.

      Ich wünsche noch viel Spaß mit der Serie!

      … und suche immer noch eine Wohnung in der Umgebung.

      LG

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