Seine Eltern sind Weinhändler, aber das ist Paul Vincenz Busch zu Langweilig. Er liebt die große Bühne und vor allem Pferde. So zieht er in die große weite Welt, arbeitet im Zirkus. 1884 gründet er dann mit seiner Frau „Miss Constanze“, eine Showreiterin, einen eigenen Zirkus. Besonders bekannt sind natürlich die Pferdeshows. Doch Paul Busch hat größere Pläne als das. Und dadurch hat er ein Denkmal geschaffen, dass zu meinen persönlichen Lieblingsdenkmalen gehört. In dessen Schatten ich lebe und das mich ganz und gar verzaubert hat. Dieses Mal möchte ich euch die Geschichte der Schilleroper erzählen, und die begann mit dem Traum eines Zirkusdirektors:
Der Wanderzirkus von Paul Busch tourt vor allem in Skandinavien. Es ist gerade mal 20 Jahre her, dass die deutsch-dänische Grenze durch Regionen verlief, die heute mitten in Hamburg liegen. Gefühlt ist Busch also immer noch in Dänemark, als er sesshaft werden will. Die Grenze, die Genau zwischen Altona und St. Pauli verläuft hatte lange zur Folge, dass es hier besondere Freiheiten gab. Eine Vergnügungsmeile nahe des Hafens ist entstanden. Ein Elb-Las Vegas. Es ist die Zeit der großen Theatergebäude und Opern auf der Reeperbahn. Die ist zwar heute noch dafür bekannt, doch Ende des 19. Jahrhunderts war diese Vergnügungsmeile ungleich größer und glamouröser.
Riesige Theatergebäude, neu und modern, erste elektrische Lampen. Ein Konzerthaus hat sogar einen innenliegenden Wasserfall über drei Stockwerke. Es sind herrliche Gebäude voll Kultur, Musik und Lachen. Die Programme sind abwechslungsreich. Hier Tanz, dort Oper und daneben Theater, anspruchsvolles oder auch plattdeutsches. Carl Hagenbeck stellt aus, erst auf dem Spielbudenplatz, dann am neuen Pferdemarkt. Es ist eine goldene Zeit St. Paulis, als Paul Busch entscheidet, hier zu bleiben. Sein Vorbild ist der Cirkus Renz. Ein riesiger Zirkusbau direkt an der Reeperbahn, in dem Abend für Abend aufwändige Shows stattfinden.
Es beginnt mit einer Bretterbude
Der riesige, bekannte und beliebte Cirkus Renz brennt 1888 plötzlich ab. Busch zögert nicht lange und beantragt in Altona eine Genehmigung für die Errichtung eines festen Zirkusbaus. Eine Bretterbude, mit einem Pappdach, die ein Jahr genutzt werden darf. Altona bewilligt gerne, denn: Altona gehört neuerdings zu Schleswig-Holstein, hat aber eigentlich eine besondere Identität, als ehemals dänisches Herrschaftsgebiet. Die Nähe zum großen Hamburg hatte das dänische Königshaus lange genutzt und der Stadt viele Freiheiten eingeräumt. Zum Beispiel die Gewerbe- oder die Religionsfreiheit.
So florierte Altona und hatte eine sehr freiheitsliebende Mentalität. St. Pauli war lange ein zwar bewohntes, aber juristisches Niemandsland – eben die Grenze zwischen deutschen und dänischen Gebieten. Unter Napoleon wurde St. Pauli zu einem offiziellen Departement Hamburgs und hatte damit das erste Mal eine Rechtsform. Und dann wurde der Stadtteil komplett niedergebrannt. Ab 1820 wurde damit begonnen, St. Pauli neu aufzubauen. Dann war der Stadtteil plötzlich keine Landesgrenze mehr, aber die Konkurrenz der beiden Städte, Hamburg und Altona blieb bestehen. Dabei hatte sich die Idee der Großen Freiheit an der Grenze erhalten, bis heute gibt es eine Straße, die diesen Namen trägt und an der alten Grenze entlangläuft. Die riesigen Entertainmentpaläste stehen jetzt aber auf der Hamburger Seite der Grenze. Als Paul Busch mit der Idee vorstellig wird, einen Zirkus in Altona zu platzieren, das dem Angebot auf der Reeperbahn Konkurrenz macht, ist diese Idee sehr willkommen.
Das Projekt erweist sich als erfolgreich. Abend für Abend kommen, um die 2000 Gäste zu den Shows in Buschs Bretterbude. Die Planungen für einen festen Zirkus beginnen. Er kauft 3000 Quadratmeter Land, an prominenter Stelle. Das Land liegt in Altona an der Nachtigallenstraße (heute Lerchenstr.), die Grundstücksgrenze ist gleichsam die Grenze zu St. Pauli und dort liegen Hagenbecks Tierpark und das Floratheater, das zur gleichen Zeit gebaut wird, in direkter Nachbarschaft. Die Idee: Ein Gebäude, das von innen das Gefühl eines Wanderzirkus vermittelt, aber dennoch eine feste Architektur ist. Er plant vorausschauend. Es gibt Anbauten, mit Werkstätten, zum Beispiel für den Hufschmied, Rückzugsräumen für die Artisten, Ställe, für Pferde, Elefanten, Eisbären…
Elefanten im Norden
Wer heute darauf achtet und durch die Straßen geht, dem fallen an den Gebäuden aus dieser Zeit einige besonders hohe Durchgänge auf. Sie sind Bestandteil der Architektur dieser Epoche. Der Tierpark, Zirkus Busch und weitere Shows. Das immer dichter zusammenwachsende Vergnügungszentrum an der Grenze hat dazu geführt, dass Ende des 19. Jahrhunderts außergewöhnlich viele Elefanten in dieser kleinen
norddeutschen Region leben. Man hat die Architektur den Dickhäutern anpassen müssen. Die Einwohner*innen von St. Pauli und Ostaltona teilen sich ihren Lebensraum mit Wildtieren aller Art und Darsteller*innen aus aller Welt. Hier ist es so frei wie sonst nirgendwo in dieser Zeit. Erzählungen davon sind geblieben. So gibt es die Geschichte, wie in der Schilleroper eines Tages einer der Elefanten starb. Aber das Tier war so groß und schwer, man konnte es nicht abtransportieren. Und so versammelten sich die Kinder der Nachbarschaft und halfen Zirkusangestellten das Tier zu zersägen. Jedes Kind bekam als Dank ein Stück aus dem Stoßzahn – bis heute gibt es Anwohner*innen, die ein Stück von diesem Stoßzahn als Erbstück aufbewahren.
Ein innovativer Bau entsteht
Zunächst entsteht an prominenter Stelle, ein Stahlgerüst. Es soll das Gebäude von innen halten, wie ein Zirkuszelt. Alles ist fest verschweißt. Ein Stahlskelettbau, nach modernsten Standards. Das Dach wird mit Dachpappe verkleidet, bekommt aber in der Mitte einen kleinen Aufbau – ein kleiner Leuchtturm, durch den Licht ins Innere fällt.
Natürlich ist es keine Zeltplane, die Busch über dieses Gestänge hängen möchte. Er hat einen neuen Baustoff im Visier. Ein Material, das erst kürzlich erfunden wurde. Es ist flexibel und lässt sich anpassen, ohne, dass es seine Festigkeit verliert. Es ist neu und modern. Paul Busch verkleidet seinen Zirkus mit Wellblech. Die Hoffnung: Zum einen Prestige, denn ein Haus ganz aus Metall hatte noch keiner gebaut, aber auch: Das Haus soll den Gästen wirklich das Gefühl geben in einem Zirkus zu sein.
Hinzu kommt die Feuerfestigkeit, damit es nicht zu einem Unglück wie bei Zirkus Renz kommen kann. Die zwölfeckige Zirkushalle aus Blech wird von den Anwohner*innen schnell auf den Namen Konservendose getauft.
Ein Zirkus mit legendären Shows
Busch plant seinen Zirkus dabei angepasst auf seine Showideen. So gibt es Wassertanks, die für Wasserpantomimen. Die Vorstellungen tragen Namen wie „Der Engel im Löwenkäfig“ oder auch „aus den Kolonien“. Sie erzählen Geschichten von fernen Welten, Afrika und Amerika. Auch in der Hafenstadt Hamburg sind das im 19. Jahrhundert noch sagenumwobene Gegenden, die man aus Romanen, der Zeitung oder Geschichten kennt.
Die Shows zeigen Fantasiegeschichten, die konservative und chauvinistische Weltbilder vermitteln und das Afrika, das sich Showmaster wie Busch, der selbst nie dort war, vorstellt. Es sind abenteuerliche Märchen, alles folgt einer Idee der Militärpropaganda der deutschen Kolonialzeit – so wie auch die teils menschenverachtenden Ausstellungen Hagenbecks. Für die Allgemeinbevölkerung ist das mehr als reines Entertainment. Es gilt als Bildung. Denn wo sonst, außer im Zoo, auf dem Rummel oder im Zirkus kann man dieser Welt so leibhaftig begegnen. Dass falsche und Klischeebilder reproduziert werden, ist Ende des 19. Jahrhunderts kaum jemanden bewusst.
Der neue Wellblechzirkus bekommt noch vor der Fertigstellung Konkurrenz. Denn der niedergebrannte Zirkus Renz an der Reeperbahn wird am 22. April 1889 neu eröffnet. Ein Neubau, moderner und prachtvoller als je zuvor. 300 Glühlampen erhellen den
Raum, es gibt spektakuläre Shows. Doch es ist fraglich, ob Busch diese Konkurrenz stark wahrgenommen hat. Er konzentriert sich auf die Arbeit im eigenen Haus. Sein Angebot passt nach Altona, wo die Arbeiter*innen wohnen, die den lieben langen Tag stumpfsinnige Arbeiten an Maschinen ausführen. Er bietet eine Abwechslung vom Alltag. Eine bunte Begegnung, die die große weite Welt in das Leben der Geringverdiener*innen holt. Wichtig für das Geschäftsmodell: Die Abende mussten legendär sein und rumerzählt werden. Es ist schwer zu sagen, was Seemannsgarn ist und was wirklich in der Manege passierte. Beispielsweise ist unklar, ob die hydraulischen Systeme jemals in dem Ausmaß gebaut wurden, wie es geplant war. Oder aber ob die Wasserspiele durch einen einfacheren Mechanismus simuliert wurden, den groß ist die Wellblechhalle nicht. Vor allem ist sie nicht groß genug für die Legende über die Show namens „Sibiren”. Die Erzählung: 120 Polarbären sind angeblich über eine Rutsche von der Decke in die Manege gerutscht. Alles, was baulich dafür notwendig wäre, hat es aber nie gegeben.
Doch 1896 ändert sich dann plötzlich alles in Hamburg. Die Cholera bricht aus. Es gibt Lockdowns, mit den Menschen stirbt die Wirtschaft und damit auch zahlreiche Theater. Es beginnen schwere Zeiten. Was nun passiert, dass könnt ihr im zweiten Teil dieser Serie nachlesen.
Alle Teile der Serie über die Schilleroper:
1. Der Zirkus in der Konservendose
5. Der letzte Akt ein Trauerspiel
Literatur:
Horst Königstein: Die Schiller-Oper in Altona, Frankfurt am Main 1983.
Anke Rees: Die Schiller-Oper in Hamburg – Der letzte Zirkusbau des 19. Jahrhunderts in Deutschland, Hamburg 2010.
https://www.st-pauli-archiv.de/fotos
https://schilleroper-ini.blogspot.com/2021/09/ausgebremst-verzockt.html
https://www.anke-rees.de/schiller-oper/
https://www.denkmalverein.de/gefaehrdet/gefaehrdet/neubau-statt-schilleroper
https://www.circus-paul-busch.de/inhalt_-1_history.htp
https://www.ndr.de/geschichte/Schiller-Oper-Altona-Hamburg-Verfall-Denkmalschutz-Ruine,schilleroper178.htmlhttps://www.youtube.com/watch?v=1DuRkSWFlNg
https://www.hagenbeck.de/de/tierpark/tierpark/historie.php
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