Das Rätsel um Ölspritzer in Museen

“Was zum Geier soll das denn?” fragte ich mich vor einem Jahr als Unbekannte auf der Berliner Museumsinsel archäologische Artefakte mit Öl bespritzt haben. Ich begann zu recherchieren, und dabei bin ich auf wirklich merkwürdige Weltanschauungen gestoßen. Aber lest selbst über Menschen, die im vermeindlichen Kampf gegen das Böse weltweit Museumsstücke beschädigen.

Was ist in Berlin passiert?

Am 3. Oktober hat mindestens ein*e Museumsbesucher*in Öl auf Artefakte gespritzt – die Person hat innerhalb von etwa einer Stunde 70 Austellungstücke beschädigt. Ölspritzer ist dabei ein dehnbarer Begriff, denn genaues wurde nicht bekannt gegeben, um kein Täter*innenwissen preis zu geben. Das Problem: Ölige Substanzen kann man nicht unbedingt von Artefakten entfernen. Bei Sandsteinobjekten beispielsweise kann es

Ein Raubvogel von Tell Halaf. Die Skulptur steht auf einem Sockel.

Einer der Raubvögel von Tell Halaf.(Bild: Nacho Pintos (CC BY 2.0) )

einziehen. Der angerichtete Schaden ist also teils irreperabel. Wirft man einen Blick auf die betroffenen Artefakte, fällt auf: Sie stammen in der Hauptsache aus vorchristlichen oder nichtchristlichen Kontexten. Z.B. ein Gemälde eines dänischen Okkultisten, das eine dramatische sexuelle Szene zeigt, ist betroffen, genauso wie altägyptische Objekte. U.a. die Sarkophagwanne des Nehi (1.390-1.330 v. Chr.) und der Sarkophag des Propheten Ahmose (332-330 v. Chr.). Besonders wütend macht mich: Auch einer der Raubvögel aus Tell Halaf ist betroffen – dabei handelt es sich um eines meiner ganz persönlichen Lieblingsstücke. Das heißt, ich bin wircklich richtig sauer. Aber wer hat etwas davon Artefakte zu beschädigen? Hierzu ein Blick auf andere Fälle:

Ölflecken international

In Athen wurden 2018 zwei bulgarische Frauen zu je 4 Jahren Haft verurteilt, weil sie in gleich 3 athener Museen Artefakte mit Öl bespritzt haben. Die Anwälte erklärten, das die Beiden aus religöser Motivation handelten, das Öl war mit Myrre gemischt um Geister zu verteiben. Die Frauen wurden dabei auf frischer Tat ertappt. Doch Athen ist kein Einzellfall. Bereits seit 30 Jahren finden sich weltweit Ölflecken in Museen.

Ein Sandsteinbodenrelief.

Auch das Sandsteinrelief von Tlaltecuhtli, dem Erdmonster der Azteken, am Templo Mayor wurde mit Öl beschädigt. (Foto: Chaccard (CC BY-SA 4.0)

In Mexiko z.B. oder in japanischen Museen. Es wurde wenig darüber berichtet um keine Nachahmer*innen zu erschaffen, aber erst durch das veröffentlichen des Falles in Berlin wurde klar: Auf der ganzen Welt gibt es Fälle von Ölspritzern auf Artefakten. Ob es Zusammenhänge zwischen den Fällen gibt ist dabei unklar, aber es ist kurios wie weit dieses Phänomen verbreitet ist.

Und wie sieht es in Deutschland aus?

Im Juli 2020 tauchten die ersten Ölflecken im Kreismuseum Wewelsburg auf. Insgesammt 50 Objekte wurden beschädigt. Die Wewelsburg ist ein ganz besonderer Ort der Deutschen Geschichte. Die Burg wurde von Heinrich Himmler in der NS-Zeit zu einem SS-Kultort umgebaut. Dafür wurde ein Bodenmosaik erschaffen und die sog. Schwarze Sonne erfunden. In diesem Raum soll es angeblich bis heute zu geheimen Satanistentreffen kommen. Einige fundamentalchristliche Gruppierungen behaupten

Ein Runder Raum mit einem Säulengang. Im Boden ist ein Mosaik eingelassen.

Der “Obergruppenführersaal” in der Wewelsburg war Bestadtteil von Heinrich Himmlers Germanenideologie. Heute ist dieser Raum in Verschwörungsideologien eingebaut.

dies, aber die Verantwortlichen im Museum widersprechen dem. Am 20. November 2020 folgten dann ein weiterer Ölfleckenfall im Schloss Cecilienhof. Das ist der Ort an dem die Potsdamer Konferenz abgehalten wurde. Dort wurde der zweite Weltkrieg, das NS-Regime beendet und der Grundstein für die BRD gelegt. Das Öl wurde vorallem in dem Raum verspritzt, welcher damals das Arbeitszimmer der amerikansichen Delegetion war. Führt man sich alle beschädigten Artefakte und Orte vor Augen, so wirkt diese Auswahl wie eine Beschreibung “des Bösen” aus reichsbürger- und/oder faundamental-christlicher Perspektive.

Aber was haben die Leute gegen archäologische Artefakte?

Vermutlich garnichts. Und man sollte Verschwörungsschwurbler*innen nicht alle in einen Topf werfen. Aber: Es gibt Überschneidungen. Und gerade im ganz abgeschwurbelten Bereich der Gesellschaft vermischen sich die Ideen zu einem teils widersprüchlichen Brei. Das Manifestiert sich an dem vmtl. berühmtesten Austellungstück der Museumsinsel: dem Pergamonaltar. Dieser wurde vermutlich nur nicht beschädigt, da er wegen Renovierung derzeit abgesperrt ist. Attila Hildmann sagte im August 2020: „Am Samstag muss das Allerheiligste dieser Satanisten abgerissen werden! Das Pergamon Museum, der Baal Tempel! Das ist der Ursprung allen Übels hier auf der ‚Erde‘!“. Xavier Naidoo bezeichnet den Pergamonalter als “Das Tor zur

Ein Altar der in der Mitte eine Monumentale treppe hat und rundum vom eiem u-förmig angeordeten geschoss gerahmt wird. Alles besteht aus marmor und ist aufwenidg verziert.

Der Pergamonaltar in Berlin. (Foto: Lestat (CC BY-SA 3.0))

Hölle”. Es gibt die Idee, der Altar sei, wie die Wewelsburg, Schauplatz nächtlicher Satanistentreffen. Angesichts von Bewegungen wie den Querdenkern bekommt diese Idee nun also mehr Gehör – Am Pergamonaltar verklumpen sich verschiedene Verschwörungsideen auf Basis von bereits älteren Verschwörungsideologien, die hier schon länger den Kern des Übels vermuten. Seiten wie Prophetenschule.org berichteten schon 2013, dass Gott grünes Licht gegeben habe den Pergamonaltar mit einem Blitz zu zerstören, denn Gott könne in Deutschland so lange nicht in voller Herrlichkeit erstrahlen, wie es den Thron des Satans gebe. Dieser ist eine Art Stöpsel, der den strömenden Fluss von Gottes Liebe blockiert. Und: Nein es ist kein Scherz – der Pergamonaltar wird in diesem Zusammenhang ernsthaft wörtlich als der Stöpsel Satans bezeichnet.

Was sind die Argumente der Vertreter*innen der Idee der Stöpsel Satans stünde in Berlin?

Ich habe mir ernsthaft Mühe gegeben das heraus zu finden, und z.B. versucht Experten zu Fragen, die sich mit dem Missbrauch von Kulturen durch Rechtsextreme auskennen  – aber auch Expert*innen stehen ratlos vor dem Stöpsel Satans. Mit einem Fake-Youtubeaccount, dessen Algorhytmus ich auf Schwurbelfanniveau brachte, versuchte ich schließlich die Argumente herauszubekommen und nachzuvollziehen. Das Ergebniss: Der Pergamonaltar gilt als Thron Satans. Der Name wurde nach einer Bibelstelle gewählt, die 2. Offenbarung, 12-13 (Die Offenbarung des Johannes), welche

Ein Schwarzweißbild vom Reichparteitagsgelände. Im Fokus ist die Zeppelinhauottribühne.

Albert Speer errichtete die Zeppelinhaupttribühne auf dem Reisparteitagsgelände nach dem Vorbild des Pergamonaltars. Das sagt aber erstmal nur, dass er den Altar mochte – nicht das der Pergamonaltar selbst böse ist.

dem Pergamonaltar als Thron des Satans bezeichnen soll. Das ist allerdings eine Interpretation – denn ob überhaupt dieser Altar gemeint ist, lässt sich nur vermuten. Auffällig ist aber, dass dieser Altar tatsächlich ein bisschen aussieht wie ein Sessel. Das hier in der Antike Opfergaben dargebracht wurden, dass es keine christliche Stätte ist und das Hitlers Reichsparteitagsgebäude vom Pergamonaltar inspiriert wurde sind häufig erwähnte Fakten, die wirklich stimmen – aber: diese stehen in keinem Zusammenhang.

Korrelation statt Kausalität

Besonders auffällig sind schlecht gemachte Korrelationen bzgl. des Pergamonaltars. Beispielsweise wird der Abbau des Pergamonaltar im Jahre 1878, zum wiedererichten in Berlin, als das feststehende Datum genommen, an dem der Antisemitismus in Deutschland begann. Antisemitismus hat in Europa aber leider eine lange und traurige Geschichte. Solche Daten werden in den Videos so schnell aneinander gereiht, dass man die pure Fülle der Daten irgendwann nicht mehr einordnen kann. Bei dauerhaftem Konsum beginnt man so Zusammenhänge zu sehen, wo keine sind. Zufälle wirken so irgendwann wie Kausalzusammenhänge.

Der Kindlifresserbrunen in der Berner Altstadt. Der Brunnen hat eine Figur, die auf einer Säule staht. Ein Mann in rosa oder pinker Kleidung, mit einem Spitzhut auf dem Kopf. Der Mann beist einem Baby den Kopf ab.

Ein Beispiel für Antisemitismus in Europa – Der Kindlifresserbrunnen aus dem 15. Jahrhundnert, er zeigt einen jüdischen Narren, der Babys ißt, nach einer Legende aus dem 12. Jahrhundert, die in Bern zu einem Pogrom führte (Dazu bald mehr).

So ein Scheinzusammenhang (Korrelation) ist Beispielsweise: Die Wiedereröffnung des Pergamonalters und die Geburt Adolf Hitlers im Jahr 1889. Doch – wenn 1889 ein Beleg ist, müssten dann nicht alle Ereignisse in diesem Jahr böse sein? 1889 wurde der Eifelturm fertig gestellt, der Triceratops entdeckt, Vincent van Goch malte sein Sonnenblumenbild, Charlie Chaplin wurde geboren, die gesetzliche Rentenversicherung wurde in Deutschland eingeführt, die erste Expedition zur Erforschung von Plankton startete, die Gesellschaft zum Bau des Panamakanals ging Konkurs, Rheinmetall wird gegründet, ebenso das Wall Street Journal und Nintendo –  zunächst ein Spielkartenproduzent-, in San Francisco wird die erste Jukebox gebaut, die University of Idaho wird gegründet, genauso wie das Naturhistorische Museum in Wien. Und was sagt uns das? Abgesehen davon, dass das Jahr 1889 nach einer verdammt spannenden Zeit klingt, sagt es nichts.

Am Ende steht:

Der Tell Halafraubvogel von der Seite

Definitv – ein Lieblingstück (Bild: Genealogist (CC BY-SA 3.0)

Die Erzählung über den Pergamonalter, ist keine besonders bekannte Geschichte in verschwörungsideologischen Kreisen, aber sie liegt an einer Schnittstelle die beispielsweise anschlussfähig an die Ideen von Q-Anon sind. In Bezug auf das Böse, archäologische Artefakte und gerade die deutsche Geschichte verschmelzen hier rechtsextreme und fundamentalchristliche Ideologien. Wer also die Artefakte bespritzt, die irgendwie alle entweder einen nichtchristlichen, oder einen angeblich satanistischen, bzw. einfach einen historischen Hintergrund bzgl. der Gründung der BRD haben, kommt möglicherweise aus diesem Umfeld. Klar ist auch: Die argumentative Grundlage für das bespritzen von Artefakten ist kaum nachvollziehbar – vorallem nicht für Archäologieliebhaber*innen wie mich. Und es macht mich wirklich sehr wütend und es tut mir weh, dass eines meiner liebsten archäologischen Fundstücke beschädigt wurde, wegen wirren Behauptungen.

Und wenn du jetzt denkst, “krass gut, dass es da eine Bloggerin gibt, die ihr Herz in solche Recherchen steckt, und über soetwas berichtet” dann unterstütze sie doch mit einem kleinen Trinkgeld, dass du ihr über diesen Link per Paypal schicken kannst. Dankeschön!

Literatur:

https://www.deutschlandfunk.de/berliner-museumsinsel-anschlag-auf-die-weltkultur.691.de.html?dram:article_id=486137

https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/kriminalitaet/id_88787788/oel-anschlag-auf-berliner-museen-was-haben-attila-hildmann-und-co-damit-zu-tun-.html

https://www.rnd.de/politik/museumsinsel-berlin-polizei-ermittelt-nach-ol-attacke-in-alle-richtungen-I23N52H5EG3FTVGQHL7HDRIVHQ.html

https://www.rnd.de/panorama/hildmann-und-der-pergamonaltar-wie-verschworungsideologen-die-museumsinsel-fur-sich-entdeckt-haben-OIA77H55PUHGBHO5W4P52KL4B4.html

https://www.radiohochstift.de/nachrichten/paderborn-hoexter/detailansicht/sachbeschaedigung-in-der-wewelsburg-bei-bueren.html

http://www.pol-ag.de/html/pergamon-altar.html

https://www.monopol-magazin.de/was-macht-die-kunst-im-zentrum-von-verschwoerungsmythen

https://www.zeit.de/2020/44/anschlaege-berliner-kunstwerke-flecken-verschwoerungstheorien-attila-hildmann-pergamonmuseum/seite-2

https://www.welt.de/kultur/article218297540/Anschlag-auf-Berliner-Museen-Baal-Tempel-Ursprung-allen-Uebels.html

https://nationalpost.com/pmn/entertainment-pmn/greek-court-convicts-2-over-religious-museum-oil-attacks

https://www.sueddeutsche.de/kultur/oel-anschlag-cecilienhof-potsdam-museen-1.5122021

https://www.deutschlandfunk.de/dlf-recherche-weitere-oelanschlaege-in-deutschen-museen.691.de.html?dram:article_id=487835

https://www.deutschlandfunk.de/immer-mehr-orte-bekannt-oel-anschlaege-auf-kunstwerke.691.de.html?dram:article_id=487905

https://www.zeit.de/kultur/kunst/2020-11/beschaedigung-kunstwerke-oel-anschlag-schloss-cecilienhof-museum-berlin

Two women arrested for “oil attacks” in Athens’ museums

Prophetie: Der Pergamonaltar in Berlin wird zerstört werden

„Es gab schon ähnliche Vorfälle“

2 Gedanken zu „Das Rätsel um Ölspritzer in Museen

Schreibe einen Kommentar zu Miss Jones Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert