Die Erde hat gebebt – unweit der kretischen Küste war der Vulkan Thera ausgebrochen. Eine Rauchwolke verdunkelt zunehmend den Himmel – das Wasser zog sich zurück und formierte eine Tsunamiwelle. Schnell – sehr schnell kamen die Menschen im bronzezeitlichen Knossos zusammen. Sie wollten weiteres Unheil abwenden und versammelten sich im Thronsaal des Palastes zu einer Zeremonie. Doch es war zu spät. Mitten in das religiöse Ritual bricht die Katastrophe auch über Knossos hinein. So oder so ähnlich stellte sich der Ausgräber Arthur Evans das Ende des minoischen Palastes vor, als er auf die 3500 Jahre alten Spuren dieser verlorenen Menschen stieß.
Es war der 23. März 1900 als seine Ausgräber schließlich den Thronsaal des Palastes freilegten. An diesem Tag war die Jungarchäologin Harriet an Boyd Hawes auf der
Ausgrabung zu Besuch. Sie wartete gerade auf die Genehmigung ihrer eigenen Ausgrabung, bei der sie nicht nur die erste Frau werden sollte, die in Griechenland selbst den Spaten schwang, sondern auch Gournia entdecken sollte. Boyd und Evans, starrten gebannt auf den Thron aus Alabaster, der vorsichtig aus der Erde, zum Vorschein kam. Mehr als nur ein verzierter Stuhl – das stand schnell fest. Denn ansonsten sind es nur einfache Bänke, ebenfalls aus dem Gipsgestein Alabaster, die an den Wänden als Sitzgelegenheiten dienten. Deswegen galt dieser Fund schnell als der älteste Thron Europas.
Der Thronsaal des Minos
Archäologisch lässt sich zeigen, dass der Thronsaal einen Vorraum hatte. Dieser Vorraum war ebenfalls mit Bänken ausgestattet und vermutlich stand auch hier ein Thron – allerdings aus Holz. Man nimmt dies an, da an entsprechender Stelle eine Steinplatte liegt. Darauf wurden laut Evans verkohlte Holzreste gefunden. Deswegen steht heute an dieser Stelle eine hölzerne Replik des Alabasterthrons aus dem Hauptthronsaal. Diese wurde zusätzlich mit der Idee angefertigt, dass der Alabasterthron offenbar ein hölzernes Vorbild hatte. Aber wirklich belegt ist das alles leider nicht.
Der Thronsaal hatte außerdem Zugang zu einem rituellen Baderaum. Ein sogenanntes Lustralbad. Es wird angenommen, dass in diesen Badevorrichtungen rituelle Reinigungen vorgenommen wurden. Diese Art der Bäder finden sich häufig auf Fundplätzen der minoischen Kultur. Sie haben alle eines gemeinsam: Sie haben keinen Abfluss. Und das ist auch der Grund, warum es die Deutung gibt, dass diese Bäder heilig waren und nicht zum Zwecke der Körperreinigung dienten. In dem Becken neben dem Thronsaal sammelte sich vmtl. Regenwasser, denn das Bad befand sich in einem Lichthof und damit direkt unter freiem Himmel. Der Thronsaal selbst war aber überdacht. Säulen und eine hölzerne Balustrade trennten den Thronsaal von dem Bad.
Der berühmte Thron war gegenüber des Bades aufgestellt, sodass der Blick direkt auf das Kultbad gerichtet war. Er selbst war nicht nimmer so weiß. Spuren von Rotweißer Bemalung konnte bei der Ausgrabung noch beobachtet werden. Auch wenn unklar ist, was diese Bemalung ursprünglich zeigte. Besonders bei dem Thron ist auch, die offenbar absichtlich angefertigte, Vertiefung auf der Sitzfläche, welche die Benutzung bequemer machte.
Und nicht nur der Thron war bemalt – auch erhielten sich über die Jahrtausende Überreste von Wandmalereien, die diesen Thronsaal einst schmückten. Evans rekonstruierte diesen Raum mit einer dunkelroten Wand und mit Greifenwesen. Doch stimmt das überhaupt? Diese Frage stellt sich, da man bei den Interpretationen von Arthur Evans immer etwas vorsichtig sein sollte. Der Archäologe arbeitete nämlich zunehmend nach Standards seiner Fantasie. So ließ er den Thronsaal an Ort und Stelle wieder aufbauen – einerseits um die Funde zu schützen, aber andererseits auch um mit dieser Rekonstruktion seine Funde pädagogisch genau erklären zu können. Doch bei diesem Wiederaufbau erschuf er eine Welt, die nur seine Interpretation der Funde zeigt. Und das ist hochproblematisch.
Heute ist es teils schwer, zwischen Fund und Erfindung zu unterscheiden. Bei der Greifenbemalung fällt auf – Es sind zwar einige wenige Bruchstücke vorhanden, die eine Wandmalerei nahelegen – auch ein Vogelkopf und Teile, die zu einem katzenartigen Tier passen, wurden, gefunden. Aber diese Bruchstücke sind so gering, dass sie sich nicht zweifelsfrei einander zuordnen lassen – tatsächlich waren die Wände des Thronsaales nur noch etwa 1 Meter hoch erhalten – der Schaden, zu dem es hier im Lauf der Jahrtausende gekommen war, war also erheblich. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass der Thronsaal ganz anders bemalt gewesen ist.
Evans wies darauf hin, dass Greifenwesen später in die griechische Kultur eingegangen sind – möglich, dass es sich um eine frühe Form dieser Vorstellung handelt. Möglich ist aber auch, dass Evans diese Greife gerne dort sehen wollte, da er diese Geschichten aus der griechischen Mythologie kannte. Aus Aussagen seines Wandgemälde-Restaurators John ist klar bekannt, dass ein Großteil dieser Darstellung Erfindung ist, Evans aber sehr klare Angaben, machte, welche Darstellung er links und rechts von dem Thron haben wollte. Auf ähnliche Weise sind die Wandmalereien an vielen Stellen in Knossos vorgenommen worden. Ein anderes Beispiel für eine fehlerhafte Darstellung ist der Lilienprinz. (Hier klicken, um mehr zum Lilienprinzen zu lesen)
Heute steht die Archäologie also vor einem, durch die Geschichte der Ausgrabung vorgeprägten Bild, dieses Thronsaales. Bei einer kritischen Betrachtung fällt auf, dass die Frage, ob es sich um einen Thronsaal – oder vielleicht doch um einen religiösen Raum handelt – nicht zu beantworten ist. Zunächst begann man aber vom Thron des Minos zu sprechen. Nach einer griechischen Sage, in der König Minos den Minotaurus in einem Labyrinth gefangen hält. Und da die Grundmauern von Knossos stark an ein Labyrinth erinnern, wurde die Geschichte von König Minos schnell mit dieser kretischen Kultur assoziiert. Der Name Minoer leitet sich ebenfalls davon ab.
Andere Wissenschaftler vermuten hier den Thron einer Priesterkönigin – in verschiedensten anderen Interpretationen findet sich der Thron mal als ein weltlicher und mal als ein göttlicher Thron. Mal wird das gegenüber dem Thron liegende Kultbad als Reinigungsort für Herrscher gesehen, mal reinigten sich hier Priesterinnen. Die Spannbreite der Interpretationen ist also sehr weit. Aber wirklich seriös beantworten kann man diese Frage, was es mit diesem Raum auf sich hatte, leider nicht. Und es ist auch möglich, dass dieser Raum einen ganz anderen Nutzen hatte – über den bislang noch niemand nachgedacht hat! Das Problem ist – wirklich belegen kann man keine dieser Interpretationen – und das heißt auch, wenn ich jetzt zum Beispiel einfach behaupte
diese beiden Räume waren eine Art Siegertreppchen, auf dem die Gewinner des Stiersprungfestes gefeiert wurden, welches uns durch Wandmalereien überliefert ist, dann gibt es keine Möglichkeit diese Idee zu belegen oder zu widerlegen. Wenn du nun auch eine kreative Idee hast, was denn in diesen beiden nebeneinanderliegenden Räumen einmal stattgefunden hat, lass mir doch einen Kommentar da.
Anmerkung: Leider musste ich mir den Thronsaal mit einer ganzen Armada Kreuzfahrttouristen teilen. Deswegen haben die Fotos, die ich aus dem Gedränge heraus machen konnte, leider keine gute Qualität. Ich bitte dies zu entschuldigen.
Literatur:
Badisches Landesmuseum Karlsruhe: Im Labyrinth des Minos – Kreta – die erste europäische Hochkultur, München 2000.
Davaris, Costis: Knossos und das Museum von Heraklion, Athen 1986.
https://homersheimat.de/regionen/mykenische-palaeste/rekonstruktionen.php
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