Südlich von Kiel liegt Flintbek. Ein Ort mit einer langen, sogar sehr langen Geschichte. Vor 6.000 Jahren ist hier jemand mit einem Wagen lang gefahren. Das war klar, seit dem Radspuren bei Ausgrabungen ans Tageslicht kamen. Es sind nicht irgendwelche Radspuren, sondern der älteste Beleg für das Auftreten des Rades in der Menschheitsgeschichte. Doch nicht nur das macht Flintbek bemerkenswert. Hier gibt es seit dem Neolithikum (Jungsteinzeit) Spuren von einer Besiedlung.
Gegen 3.500 v. Chr. werden dann 4 Totenhütten gebaut.
Grabbauten, die sehr selten sind. Der Grabtyp dieser Hütten ist nach Konens Høj benannt, einem anderen Fundplatz, an dem es ähnliche Bauten, aus dieser Zeit, gibt. Hier und da tauchen diese Gräber auf. Vor allem bei archäologischen Untersuchungen im heutigen Dänemark. Es ist das Gebiet, in dem die Trichterbecherkultur in der Jungsteinzeit lebt. Dieses Gebiet zieht sich über die jütische Halbinsel, einige weitere Regionen des heutigen Norddeutschlands, und zum Teil bis nach Skandinavien.

Nach dieser Keramikform wurde die Trichterbecherkultur benannt. Sie sieht aus wie ein Becher, in den jemand einen Trichter gestellt hat. (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE))
Eine Totenhütte wird wie ein Dach gebaut, das ohne Stockwerk direkt auf der Erde steht. Zwei massive Firstpfosten, die bis zu 50 cm in die Erde gerammt sind, werden dazu errichtet, um einen Dachgiebel zu tragen. Dieser wird rundum mit Bohlen belegt, sodass ein ovales Holzdach entsteht. Zur zusätzlichen Befestigung werden die Dachbohlen dann am Boden mit Geröllsteinen gestützt. Das ganze Dach wird mit Lehm verstrichen und mit Grassoden belegt, der Innenraum mit Steinplatten und Flintbruch gefüllt, sodass die Hütte einen Fußboden hat. In dem so entstandenen Raum wird eine verstorbene Person ehrenvoll beigesetzt.
Die Totenhütten von Flintbeck
In Flintbeck fanden sich Beigaben in 3 dieser Totenhäuser. Eine Flintaxt zum Beispiel. Oder auch Querschneidige Pfeilspitzen. Solche Pfeile wurden für die Jagd verwendet, vielleicht stehen diese besonderen Bestattungen also mit dieser Aufgabe in Zusammenhang. Aber das ist nur eine Vermutung. Bei dem vierten Grab hat man gar keine Hinweise, warum die vor 5.500 Jahre beigesetzt Person zu der Ehre kam, solch ein aufwendiges und liebevolles Grab zu erhalten.

Eine Rekonstruktion einer Totenhütte aus Flintbek. Ausgestellt im Steinzeitpark Dithmarschen (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Aber: Dass es sich um herausragende Personen handelt, ist unbestritten. Ein Problem bei der Analyse ist: DNA konnte bei diesem Fundplatz aufgrund der Knochenerhaltung nicht untersucht werden. Aber die Untersuchung anderer Orte zeigt ein interessantes Bild. Im Benzingerode gibt es z.B. zwei vergleichbare Einzelbestattungen von Männern, bei denen sich durch Knochenanalysen feststellen ließ, dass sie mehr Fleisch zu essen hatten als ihre Mitmenschen. In Ostorf gibt es ein ganz ähnliches Phänomen. Nur, dass es hier keine Genderfrage zu sein scheint, wer mehr Fleisch zu essen bekam.

Eigentlich werden die Menschen der Trichterbecherkultur in Gemeinschaftsgräbern bestattet, ein Beispiel hierfür sind die Lübbensteine (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Auffällig sind die Gräber aber nicht nur, weil es sich um Einzelbestattungen handelt, was in dieser Zeit ungewöhnlich ist. Die Bauart selbst sorgt im neolithischen Norddeutschland für Aufsehen. Nach der Beisetzung der Person unter dem Dach wird das Grab nämlich unter einem Hügel vergaben. Und ein solcher Hügel hat einen Durchmesser von 6 Metern. Auch andere Gräber, dieser frühen Phase der Trichterbecherkultur, bekommen solche Hügel. Aber: Gräber dieser Art sind aufgrund der Bauart mit dem Dach höher als anderer Gräber dieser Zeit. Es ist also eine große Ehre, in einem solche weithin sichtbaren Grab bestattet zu sein, und dann auch noch alleine. Ein deutlicher Hinweis: Hier liegt eine besondere Person.
Diese Gräber prägten die Landschaft
Möglicherweise sind es Orientierungspunkte mit einem großen Wiedererkennungswert. Die großen Hügel im nordeuropäischen Flachland haben einen großen Wiedererkennungswert und prägten damit das Leben, auch im Alltag. Auf jeden Fall fallen sie auf, diese großen Hügel aus der Zeit vor 5.500 Jahren.

Nachbau eines der in Flintbek gefundenen Häuser aus der Jungsteinzeit. Ausgestellt im Steinzeitpark Dithmarschen (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Vielleicht sind diese Gräber aber auch aus einem ganz anderen Grund besonders. Denn es lässt sich zeigen, es handelt sich um einige der ältesten Gräber in Flintbek. Deutlich lässt sich beobachten, die Einwohnerzahl wuchs von Generation zu Generation. Die Siedlung wird größer und bei mehr Menschen wird natürlich auch häufiger gestorben. Nur 75 Jahre später werden deswegen große Dolmengräber (Großsteingräber) errichtet. In diesen können viele Menschen bestattet werden. Man beginnt, die Menschen also in einer Art Totengemeinschaft niederzulegen.
Möglicherweise sind die auffälligen Totenhütten die Gräber der Gründer*innen des Ortes.
Oder aber die aufwendigen Grabbauten stammen aus einer Zeit, in der Flintbek so wenige Einwohner hat, dass sehr selten ein Mensch verstarb und dieser aber dann besonders fehlte, und deshalb wurde die Person besonders geehrt. Zwei Hände weniger, die mit anpacken, können in einer kleinen Gemeinde in großes Problem sein. Andererseits, woher kam dann die Manpower ein so eindrucksvolles Grab zu bauen. Vielleicht sehen wir hier auch die Veränderung einer kulturellen Idee innerhalb der Trichterbecherkultur.

Blick in eine Grabkammer eines Großsteingrabes (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Möglich ist, dass der Gemeinschaftsgedanke in der Folgezeit in dieser Kultur in den Vordergrund rückt. Dass mit einer größeren Gemeinschaft der Entschluss kam, alle in einem gemeinsamen großen Grab zu bestatten – warum auch immer es passiert ist, die Idee, Personen imposant, aber einzeln zu bestatten, ist mit dem Aufkommen der Megalithgräber verschwunden. Totenhütten werden dann nicht mehr gebaut. Anscheinend hat sich kulturell der Gemeinschaftsgedanke irgendwie verändert.
Literatur:
Rüdiger Kelm, Großsteingräber, Riesenbetten und Schalensteine – Spuren der Steinzeit auf der Dithmarscher Geest, Albersdorf 2018.
Doris Mischka, “Flintbek LA 3, Biography of a Monument”. In: Journal of Neolithic Archaeology 12 (2), 2010. https://doi.org/10.12766/jna.2010.43.
Berd Zich: Das Hügelgräberfeld von Flintbek nach zwanzig Ausgrabungsjahren. http://www.geschichtsverein-bordesholm.de/Veroeffentlichungen/Jahrbuecher/J01_2_Zilch_Flintbek.pdf
Die Totenhütten waren mir bisher unbekannt. Sehr interessant! Vielen Dank für diesen Beitrag.
Werden die Verstorbenen dort auf dem Rücken hineingelegt, wie in einem Sarg oder ähnlich wie bei einem Hockergrab auf der Seite und gehockt? Die Rekonstruktion sieht so kurz aus, sodass man den Eindruck hat es gäbe gar nicht genug Platz darin.
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