Irgendwann rund um die Jahrhundertwende, zwischen dem 5. und 6. Jahrhundert, wurde in Ravenna eine Kirche der Arianer geweiht. Die Arianer waren eine christliche Religion welche in einigen Punkten in Opposition zu den frühen Katholiken standen. Die Sant´Apollinare Nuovo war von Theoderich dem Großen errichtet worden. Sie dient dem Herrscher als Hof- und Repräsentationskirche. Doch schon 540 wurde sie von byzantinischen Besatzern der katholischen Gemeinschaft zugeeignet. Die Mosaike in dieser Kirche stammen aber noch aus dieser frühen arianischen Zeit. Bei der Betrachtung dieser Wandkunst fällt etwas auf, dass nicht allzu häufig in christlichen Kirchen anzutreffen ist. Eine ganze Parade an Frauen ist abgebildet. Das wird heute als Jungfrauenzug bezeichnet. Sie stehen einem Zug Märtyrern, die auf der gegenüberliegenden Seite gezeigt werden gegenüber. Und das gleichberechtigt, und auf Augenhöhe. Aber wie kommt eine Darstellung mit so vielen selbstbewussten Frauen in dieser Kirche aus einer frühen Epoche der Christen eigentlich zustande? Dazu einblick in die Geschichte des frühen Christentums:
Heute ist es nicht gerade das Christentum, dass auf den ersten Blick wirkt wie ein Frauenmagnet. Deswegen gibt es heutzutage auch beispielsweise katholische Frauengruppen, die sich für mehr Rechte innerhalb ihrer Kirchenstruktur einsetzten. Schon durch die Schöpfungsgeschichte gibt es in dieser Religion mit Eva eine Frauenfigur, welche nicht gerade positiv beschrieben wird. Geschichten wie diese schaffen in einer Religion Orientierung und bestimmen das Weltbild. Es handelt sich um normative Vorstellungen davon, was diese Religion vertritt. Und gleich zu Beginn der christlichen Erzählung steht eine weibliche Figur, die unperfekt ist, und Fehler macht. Die auf Basis von Lust und Affekt handelt. Diese Figur wird einem scheinbar rationalen Vernunftbegabten Adam gegenüber gestellt. Der Punkt an der Sache ist:
In der christlichen Erzählung kommt zu dieser jüdischen Schöpfungsgeschichte dann noch eine zweite große Frauenfigur hinzu. Es ist die Erzählung über Maria. Sie symbolisiert die lasten die es bei dem Führen eines Haushaltes und der Übernahme ehelicher Pflichten zu tragen gilt. Aus heutiger Sicht ist es vielleicht überraschend, aber im alten Rom war diese Vorstellung ein Novum. Frauen gewannen durch diese Figur an belang, da ihre Lebenswelt und ihre Aufgaben eine Aufwertung erfahren haben. Das war eine Form von echter Gleichberechtigung. Während zuvor der Mann einer Familie ein Patriarch war, der wirklich jedes Detail im Leben seiner Familienangehörigen bestimmen durfte, galt die Frau im Christentum auch durch die Schöpfungsgeschichte ebenfalls als Geschöpf Gottes. Sich dem Christentum anzuschließen bedeutete für die frühen Christinnen also einen echten Fortschritt. Und so ist es kein Wunder, dass die Römer die neue Religion in ihren Anfängen schnell als “Weiberreligion” beschimpften.
Hinzu kam: zu Beginn war das Christentum noch keine alte eingefahrene Kirchenstruktur, so wie es heute vielfach wahrgenommen wird. Es war eine junge Idee, die noch mitgestaltet werden konnte. Die Platz bot für eine neue Form des Zusammenlebens zu gestalten. Die neue jüdisch Sekte, die Jesus Christus verehrt, war zunächst eine Art Aussteigerreligion. An ihrer Gestaltung beteiligten sich auch viele Frauen. Dieser Beitrag ist dabei heute fast vergessen. Zum Beispiel die am häufigsten verehrte Heilige des Frühen Christentums, Thekla. Sie gilt heute vielfach als häretisch, also der richtigen christlichen Meinung abtrünnig und wurde aus der offiziellen Kirchenlehre verbannt, wird aber doch, wenngleich selten, als Schülerin des Paulus verehrt. Das Gleiche gilt auch für viele der frühen christlichen Vorkämpferinnen. Sie wurden einfach aus der offiziellen Kirchengeschichte gestrichen, in einem Jahrhunderte langen Ringen darum was den nun die richtige Version des Christentums sei.
Einige christliche Vorkämpferinnen wurde aus der Erzählung entfernt, weil es sich, wie bei der bekanntesten Thekla, um Märtyrerinnen handelte. In einer später entstehenden Weltsicht wurde es als Gotteslästerung angesehen, sich wie Jesus selbst dem Martyrium zu stellen. Es entwickelte sich die Auffassung, dass wer sich selbst für das Christentum opfert, oder Unternehmungen vornimmt, welche einen aktiven Einfluss darauf haben, dass es dazu kommen könnte, der trifft damit eine verwerfliche Entscheidung, die hochmütig ist. Gott alleine solle entscheiden, wem er ein Martyrium auferlegt. Da aber die meisten frühen Christinnen, die Vorkämpferinnen für die Religion waren, als Märtyrerinnen endeten, werden sie später nicht mehr in dem Ausmaß verehrt wie noch in der Zeit in der die Sant Apollinare´Nuovo errichtet wurde. In der Kirche in Ravenna sind 22 Märtyrerinnen dargestellt. Die Prozession besteht aus Geschichten verschiedener Frauen, die vor allem aus dem 3. Jahrhundert lebten.
Die negative Sichtweise über Märtyrerinnen betrifft vor allem Frauen. Christliche Frauen wurden im 1. Jahrhundert immer wieder mit juristischen Strafen belegt, welche sie besonders demütigen sollten. Angegriffen wurde dabei ihre Enthaltsamkeit. Beispielsweise gibt es 13 Fälle bei denen Frauen aufgrund dieser zu einem leben als Prostituierte in einem Bordell verurteilt wurden. Auch diese Lebensgeschichten gelten als Martyrium. Tatsächlich gibt es weitere Erzählungen dieser Art. Im Fokus: die Verunglimpfung der selbstbestimmten Enthaltsamkeit der Christinnen. Vergewaltigung in Kombination mit Folter, welche in eine Hinrichtung resultierte, war ein probates Mittel der Römer gegen das Christentum vorzugehen. Zumal die Idee, dass eine Frau in dieser Hinsicht selbst über ihren Körper bestimmt in der römischen Gesellschaft absolut neu war.
Tatsächlich ist das eine vereinfachte Darstellung der Lebensrealität dieser Zeit. Aber die Forschung stößt dabei auf ein Problem: Es gibt keinen guten Einblick in die Gedanken der frühen Christinnen, welche uns Aufschluss über ihre Intentionen gibt, denn es sind nur Aufzeichnungen von 4 Frauen erhalten. Und über einen so kleinen Einblick in die Gedankenwelt dieser Frauen lässt sich kein pauschales Urteil treffen. Aber es ist auch bekannt: Im zweiten Jahrhundert gab es eine Vielzahl christlicher Märtyrerinnen, die für den neuen Glauben stark bekämpft wurden.
Einer der Punkte der für Frauen besonders verlockend war, war also die sexuelle Enthaltsamkeit, durch die sie ihrem Mann nicht mehr dauerhaft und im Zweifel gegen ihren Willen zur Verfügung stehen mussten. Durch diese Enthaltsamkeit entstanden neue Rollen in der Gesellschaft. Es gab zunächst enthaltsame Ehepaare, welche ohne Heirat zusammen lebten. Diese Lebensart galt aber schnell als etwas Negatives. So entstand die alleinstehende enthaltsame Frau. Diese wurde zunächst zu den Witwen dazugezählt. Da diese Zuschreibung aber nicht zu jungen Frauen, die sich selbstbestimmt für ein enthaltsames Leben entschieden haben passt, entstand im 4. Jahrhundert eine neue Rolle: Die Jungfrau. Diese war ursprünglich, nicht wie heute an biologische Merkmale und die Zeit vor der Eheschließung, geknüpft, sondern an eben nur an die Entscheidung sexuell enthaltsam leben zu wollen.
Mit dem Codex Theodosianus (438), wurde dann auch juristisch verankert, dass es bei Todesstrafe verboten ist eine Klerikerin zu ehelichen, welche sich der Enthaltsamkeit verpflichtet hat. Damit endet die frühe Institutionalisierung und die Schaffung der Rechtsgrundlagen für diese neuen Frauenrollen. In den folgenden zwei Jahrhunderten Endwickeln sich Frauenbilder anhand dieser neuen Umstände weiter. Das Christliche Diakonat entsteht, eine Aufgabe die auch Frauen übernehmen können. In diesem Entwicklungsstadium des Christentums kommt es immer wieder zum Hervor stellen der Frauen der christlichen Geschichte. Und das ist auch der Zeitraum in dem die Sant´Apollinare Nouvo errichtet wird.
Es ist ein selbstbewusstes Abbild von Frauen in dieser Zeit, dass sich zeigt. Und eben auch eines das sehr gleichberechtigt wirkt. Erst in späteren Jahrhunderten entwickelte sich das Frauenbild wieder zu einem mit weniger hohen Status, übrigens in Rückgriff auf antike Vorbilder. Die Geschichte der Frauen im Christentum verläuft ähnlich wie die Geschichte des christlichen Umgangs mit Sklaven. Zunächst stand die Gleichheit der Menschen vor Gott im Fokus. Viele neue Christen ließen deswegen ihre Sklaven frei. Es gab sogar frühchristliche Unternehmungen, bei denen Sklaven freigekauft wurden. Dann aber setzte sich eine andere konservative Sichtweise durch. In dieser galt die Gleichheit aller Menschen im Himmelreich, aber eben nicht auf Erden.
Die meisten dieser frühchristlichen Ereignisse waren zu dem Zeitpunkt, an der die Sant´Apollinare Nuovo gebaut wurde schon mehrere Jahrhunderte her. So bemühte man sich in der Darstellung dieser Frauen darum, sie als Historisch darzustellen. Von daher tragen sie eine auf die Menschen des 5. Jahrhundert besonders alt wirkende Frisur aus dem 3. Jahrhundert. Und da hier vielfach an Märtyrerinnen des 3. Jahrhunderts gedacht wird, die aufgrund von widerstand gegen Diokletians antichristlicher Politik verstarben dargestellt werden, ist das auch meist passend.
Die Frauen sind dabei noch im Schönheitsideal antiker Frauen gezeigt. Deutlich wird das bei der Betrachtung ihrer Beine. Diese sind regelhaft mit einem Standbein und einem Spielbein dargestellt, dass ist eine antike Bildtradition. Teils gibt das Gewand einen leicht lasziven einblick, der ihre Oberschenkel zeigt, die sich als Schatten unter dem Gewand andeuten. Dies hängt mit dem erotischen Frauenbild der antike zusammen, welches erst nach und nach verschwand. Dabei wurde mit fast durchsichtigen Gewändern gespielt, welche sich auch hier als Schatten zu zeigen scheinen. Gleichzeitig schwand in der Zeit der Entstehung des Mosaiks das Interesse daran Körperproportionen genau darzustellen. Deswegen sitzen die Knie der Frauen teilweise an etwas seltsamen Positionen.
Auch auf eine Darstellung des Alters dieser Frauen und Mädchen, welche bei ihrem Tod zum Teil noch sehr jung gewesen sind, wurde verzichtet. Zum Beispiel Euphmia von Calcedon, die die Prozession anführt. Diese Heilige wurde im Jahre 303 in Calcedon von Löwen zerfleischt. Zu diesem Zeitpunkt war sie 15 Jahre alt. Sie wurde dieser Hinrichtung ausgesetzt, als Mitglied einer Gruppe, die sich weigerte pagane Götter anzubeten. Dieser Fall erlangte besondere Bekanntheit als 451 das Konzil von Calcedon in der Kirche ihrer Gemeinde durchführt wurde. Euphemia war schon früh eine besonders wichtige Heilige in Ravenna und führt deswegen die Prozession an. Bis heute wird sie als Märtyrerin verehrt. Genauso wie St. Agnes die ebenfalls in dieser Prozession dargestellt wird. Agnes war bei ihrem Tod, der im ungefähr gleichen Zeitraum aus ähnlichen Gründen zustande kam erst 12 Jahre alt. Ihre Familie manifestierte das Bild der St. Agnes als das Lamm Gottes. In Ravenna ist sie deswegen auch gemeinsam mit einem Lamm dargestellt.
Die Darstellung in Ravenna ist ein Symbol einer frühchristlichen Gemeinde, in der Zeit in der das Christentum bereits anerkannt war. Es steht für den langen Kampf, den die Christen bis zu diesem Zeitpunkt führen mussten. Und der wurde von Männern und Frauen gleichermaßen geführt. Gleichzeitig ist diese Berufung aber auch eine Kampfansage, und zwar an den katholischen glauben. In der Zeit in der die Sant´Apolinare Nuovo errichtet wurde, gab es nämlich erbitterte Konflikte zwischen den beiden christlichen Gruppen der Arianer und der Katholiken. Heute ist diese Kirche UNESCO Weltkulturerbe. Sie zeigt einen wichtigen Abschnitt der Entwicklung unserer heutigen Kultur. Einen Entwicklungsschritt, der sich direkt darauf auswirkt, wie wir heute leben und unsere Gesellschaft verstehen. Deswegen möchte ich jedem empfehlen, der mal in der Nähe von Ravenna ist, sich dieses Zeugnis der Geschichte einmal näher anzusehen.
Literatur:
Werner Affeldt: Frauen in Spätantike und Frühmittelalter Lebensbedingungen – Lebensnormen – Lebensformen. In: Beiträge zu einer internationalen Tagung am Fachbereich Geschichtswissenschaften der Freien Universität Berlin 18. bis 21. Februar 1987, Berlin 1990.
Jutta Dresken-Weiland: Die frühchristlichen Mosaiken von Ravenna – Bild und Bedeutung. Regensburg 2016.
Anne Jensen: Gottes selbstbewusste Töchter – Frauenemanzipation im frühen Christentum? 2. Auflage mit aktualisierendem Nachtrag. In: Theologische Frauenforschung in Europa 9, Münster 2003.
Guido Marchetti: Women in the Mosaics of Ravenna. Ravenna.
Renzo Matino: Ravenna und seine Geschichte. Deutsche Ausgabe.
Sehr interessante Ausführungen! 🙂
Nur ein winziges Detail: meinem Verständnis nach waren die Arianer keine “christliche Religion”, sondern eine “Konfession” innerhalb der christlichen Religion. Aber das ist nur eine Begrifflichkeit.
Ich wollte es so erklären, das es alle verstehen. Und als Mensch, der selber komplett außerhalb von Religionen aufgewachsen ist und lebt, habe ich vor meinem Studium keinen Schimmer gehabt, was denn Unterschied davon sein soll. Und wenn ich solche Begriffe verwende, dann erkläre ich sie immer. Aber innerhalb der Erklärung eines Wortes auch noch eine Erklärung eines dafür verwendeten Wortes zu machen; Das wird einfach zu viel. Also: Die einfachere Variante.
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