Gestern war ihr letzter Tag be ihren Eltern. All das, was sie kannte, wird morgen in nur noch Erinnerung sein. Die wertvollsten Habseligkeiten sind gepackt. Ihr schönster Gürtel, die schönen Nadeln, die ihr einmal ihr Onkel geschenkt hat, mit der sie ihre Kleidung zusammenschließt. Und auch ihre schönsten Armreifen. Jetzt geht es los in die Ferne. Ein neues Leben wartet auf sie. Ein Leben als Ehefrau in einem weit entfernten, ihr noch unbekannten Ort. Die Braut wird wandern, weit weg. So wie es in ihrer Welt üblich ist. Es ist mehr als 3000 Jahre her. Dass die Frauen durch Europa zogen, um in weit entfernte Regionen einzuheiraten. Ich möchte euch einer dieser Frauen vorstellen:
Sie wird in der Literatur auch die fremde Frau genannt, eine Bestattung, die in Molzbach bei Fulda gefunden wurde.
Bis heute wurde der Fund, aus dem heutigen Mitteldeutschland, nicht mit modernen naturwissenschaftlichen Methoden untersucht. Aber es handelt sich um ein gutes Beispiel davon, wie Migration in der Archäologie identifiziert wird, auch ganz ohne moderne Methoden – und woher wir deshalb seit Langen wissen, dass es in der Bronzezeit diese Art der Migration gab. Irgendwann in der Zeit zwischen 1550 und 1330 v. Chr. wurde die 20 – 25 Jahre junge Frau in einem für ihre Zeit recht teurem Hügelgrab einer Gruppe beigesetzt.

Das Grab befand sich in einem solchen Grabhügel aus der Bronzezeit (Diesen Grabhügel könnt ihr im Steinzetipark Dithmarschen besichtigen/Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Es ist also ein Grab eines Bestattungsplatzes einer ganzen Gemeinschaft, in deren Mitte sie als normale Angehörige beigesetzt wurde. Durch einen Steinabbau war das Grab bei der Entdeckung bereits beschädigt, doch Archäologiestudierenden der Uni Marburg gelang es dennoch einige unglaublich faszinierende Zusammenhänge bzgl. dieses Grabes zu dokumentieren. Das Grab war, als es 1931 gefunden wurde, also ein sehr spannender Einblick in die Bronzezeit, deren Gesellschaftsgefüge es zu erforschen galt. Ein Vergleich der Schmuckstücke, die die Frau trug, als sie zur ewigen Ruhe gebettet wurde, war nämlich zunächst sehr schwierig.
Die Frau von Molzbach hatte Objekte bei sich, die in der Umgebung sonst nicht bekannt sind.
Das bedeutet: Die Gestaltung ihrer Radnadeln, kleine Blechbuckel, die einmal auf die Kleidung genäht waren, ihr Halsschmuck, selbst das Gürtelblech sah anders aus als bei anderen Frauenbestattungen, die zeitgleich in Osthessen niedergelegt wurden. Man hatte eine Frau gefunden, die hübsch, reich und modisch gekleidet war – aber nach einer Mode, die ganz anders aussah, als man es in dieser Region erwarten würde. Einige vergleichbare Objekte finden sich erst in der Oberpfalz.

Die Grabausstattung der Frau von Molzbach (Heute ausgestellt im Hessischen Landesmuseum in Kassel/Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Die Form des Blechgürtels ist tatsächlich noch weiter entfernt bekannt, im böhmisch-ungarischen Raum. Die Frau von Molzbach sah, in den Augen ihrer Gemeinschaft, also anders aus, fremdartig, denn sie trug andere Kleidung als die Frauen in dieser Umgebung. Und dennoch wurde sie von den Menschen aus Hessens Bronzezeit liebevoll im Kreise der Angehörigen niedergelegt, sie war also bestens integriert, obwohl sie aus einer weit entfernten Region eingewandert war.
Aber woher weiß man eigentlich, dass diese Schmuckstücke nicht vielleicht importiert wurden?
Es ist doch auch möglich, dass reisende Händler in das Dorf kamen, und diese vielleicht sehr reiche Frau, sich dann die hübschen Schmuckstücke kaufte. Und dass es sich von daher um extra teuren Körperschmuck handelt, der von extra weit her eingekauft wurde, um möglichst viel Reichtum zu zeigen – und später wurde die Frau dann mit ihrem teuersten, eben dem importierten Schmuck bestattet. Natürlich weiß man das nicht, ob es nicht vielleicht auch so gewesen ist. Aber: Es gibt Hinweise. Ein extra teuer importierter Schmuck wäre keine Alltagskleidung gewesen, sondern etwas für spezielle Anlässe. Die junge Frau hat aber diese Kleidung häufig getragen. Das zeigen Spuren, vor allem, Beschädigungen an den Stücken.

Rekonstruktion der Bestattung in der Form, in der die Frau aufgefunden wurde (Foto: DomenikaBo CC BY-SA 4.0).
Diese Schäden wurden bereits in der Bronzezeit repariert, damit der Bronzeschmuck weiter getragen werden konnte. Die Gegenstände scheinen eine wichtige Bedeutung für diese Frau gehabt zu haben. Vielleicht waren es Erinnerungsstücke, oder ein Teil ihrer Identität. Auf jeden Fall zeigt sich, diejenigen, die im heutigen Osthessen versuchten den Schmuck zu reparieren, wussten nicht wirklich, wie z.B. solch ein Halsring gefertigt wird. Deswegen wirkt die Reparatur mit einer Drahtumwicklung ein wenig dilettantisch. Mann könnte jetzt meinen, dass dies ein Sonderfall ist, dass hier eine Frau von so weit her lebte. Doch, diese Ungarin sollte nicht die einzige Frau bleiben, bei denen die regionalen Unterschiede zwischen Herkunftsort und Bestattung so unterschiedlich sind.
Immer wieder gibt es bronzezeitliche Bestattungen, die darauf hinweisen, dass Frauen aus weit entfernten Regionen stammen.
Dieses Phänomen scheint relativ weit über den europäischen Kontinent verbreitet zu sein. Es handelt sich oftmals um Bestattungen wie diese, bei denen die Frauen in Kleidung beerdigt wurden, die aus eine völlig anderen Regionen stammen, oder aber um Frauen, bei denen eine Isotopenanalyse eine weit entfernte Herkunft zeigt. Ein einheitliches Muster gibt es dabei nicht. Die Frauen zogen scheinbar kreuz und quer durch Mittel- und Nordeuropa in einer patrilokalen Gesellschaft.

Wie war das Leben so einer Frau, die auszog, um am gefühlt anderen Ende der Welt zu leben? (Foto: ©Jens Boeck, Ausschnitt aus der TV-Doku „Mächtige Männer – Ohnmächtige Frauen?“ Neue Fakten aus der Vergangenheit“, von ZDF Terra X).
Und das ist eine Beobachtung, die in der Archäologie schon relativ alt ist, aber die auch in moderneren Arbeiten immer wieder auftaucht. Was das Schicksal dieser Frauen war, wie ihre Leben ausgesehen haben, ist dabei unklar. Doch es sind mehr als Einzelfälle, die aber jede einzeln eine ganz individuelle Geschichte erzählt. Die Frage, die sich dabei stellt, ist: Was bedeutet es für eine Dorfgemeinschaft einerseits die Töchter wegzuschicken, und andererseits Frauen aus völlig fremden Regionen aufzunehmen?
Es ist möglich, dass Frauen dadurch zu Trägerinnen des Wissens wurden.
Das bedeutet, dass sie von ihrem Heimatort Know-how mit in ihre neue Welt brachten, und dass sich so Ideen verbreiten, weiterentwickeln konnten. Und ein gutes Beispiel dafür ist eben dieser dilettantisch gefertigte Schmuck. Die Idee, schmuck so zu gestalten, war für die Region ja bevor die Frau hier hingezogen ist gänzlich unbekannt. Und auch wenn die ersten Reparaturen dilettantisch sind, konnten die Menschen, die Metallhandwerk ausübten, versuchten eben den Teil dieser Handwerkskunst, den sie noch nicht kannten, nachzuahmen, und somit ihre eigenen Fähigkeiten weiter entwickeln. Ob dieser Aspekt der Wissensvermittlung beabsichtigt war, oder bei dieser Art der Gestaltung der Gesellschaft zufällig geschah, ist unbekannt.

Schließlich gibt es Ideen, die sich über große Gebiete Europas verbreiten – dazu gehört diese Art des Halsschmuckes, Wendelring genannt. Vielleicht wurde das Wissen um die komplizierte Herstellung dieser Schmuckstücke, die nur von Frauen getragen wurden, durch eben diese auch verbreitet (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Aber es zeigt sich: Durch den interkulturellen Kontakt entwickeln sich die Gesellschaften weiter, und der Ideenreichtum wird größer. Und auch deshalb ist es möglich, dass die Frau von Molzbach in der Gemeinschaft, in der sie eingewandert war, hochgeschätzt wurde – sie war eine Bereicherung, mit frischen Ideen, und einer ganz neuen Mode. Vielleicht war sie aber auch einfach nur ein freundlicher, guter Mensch, der von daher geschätzt wurde. Vielleicht ein Mensch der auch Heimweh hatte, und der deshalb oft und gerne den heimischen Schmuck trug. Genau werden wir es nie wissen. Aber es wird deutlich: Die bronzezeitliche Gesellschaft von Osthessen entwickelte sich auch deshalb weiter, weil sie dem Neuen und Fremden gegenüber aufgeschlossen gewesen sind. Und davon können sich heute, einige Leute gerne mal eine Scheibe abschneiden.
Literatur:
Irina Görner und Andreas Sattler: Unter unseren Füßen – Altsteinzeit bis Frühmittelalter. Hessisches Landesmuseum Kassel, 2016.
Albercht Jockenhövel: Die Bronzezeit. In: Vorgeschichte in Hessen von Hermann Jockenhövel, Stuttgart 1990.
https://blog.landesmuseum-kassel.de/2015/07/10/es-ist-reisezeit/
Immer wieder bewundernswert, welche Strecken die Menschen schon damals zurücklegten! Danke für den Artikel und den Hinweis auf die ZDF Doku, die ich mir schon mal vorgemerkt habe!
LG
Ulrike
Danke für den Artikel und auch den Verwies zum ZDF. Hab mir schon eine Erinnerung gesetzt 🙂
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