Man kann über den Kommunismus denken was man will. Fakt ist, die Ideen von Karl Marx und Friedrich Engels hatten einen starken Einfluss auf das politische Weltgeschehen der letzten beiden Jahrhunderte. Die Frage ist also, wer waren diese beiden Herren, die mit ihren Ideen auch unser Zeitalter mitgeprägt haben. Um ihnen auf einer etwas persönlicheren Ebene zu begegnen ist kürzlich ein Reiseführer erschienen, der einen zu den Orten führt an denen vor 200 Jahren diese Geschichte begann. “Auf den Spuren von Karl Marx & Friedrich Engels” von Michael Driever nimmt einen mit zu den Orten dieser ereignisreichen Lebensgeschichten im Europa des 19. Jahrhunderts.
Was für eine interessante Idee, einen Reiseführer so zu gestalten, dachte ich, in dem Moment vor einigen Wochen, als der Verlag mich anfragte, ob ich nicht Lust hätte eine Buchkritik zu schreiben. Bislang hatte ich solche Angebote immer abgelehnt, aber dieses Mal konnte ich nicht widerstehen. Die Idee Teile der Geschichte vor Ort zu lernen, in den man an die Orte des Geschehens geht, finde ich einfach zu interessant. Von daher hatte ich relativ hohe Erwartungen an diesen Reiseführer. Es ging mir dabei weniger darum über das kommunistische Manifest zu lernen, sondern viel mehr darüber wie es überhaupt entstanden ist und was es für eine Welt war, in der solche Ideen aufkamen, und wie die Leben derjenigen aussahen, die diese Idee begründet haben.
Der Reiseführer hat dabei zum einen den Vorteil, er ist handlich, das heißt man kann ihn auf Reisen gut mehrfach mitnehmen. Und das muss man bei über Europa verstreuten Orten auch. Man kann dies gezeigten Orte gar nicht in einer Reise abklappern und so ist der Reiseführer auch nicht gedacht. Tatsächlich führt er chronologisch durch die Lebensläufe der beiden Kommunisten. Mit den Umzügen wechselt auch jeweils der Ort im Reiseführer. Alles ist mit leicht verständlichen Beschreibungen und Stadtplänen versehen. Hier werden auch Routen vorgeschlagen, auf denen man die Orte Erkunden kann. Größere Kapitel gibt es über Trier, Wuppertal, Berlin, Köln, Paris, Brüssel, Manchester und London.
Eingeläutet werden die neuen Orte mit kurzen aber informativen Texten über den jeweiligen Ort im 19. Jahrhundert im Vergleich mit heute. Es wird mehr als einmal deutlich, dass sich die Welt in den letzten 200 Jahren stark verändert hat. London wuchs von 2,5 Millionen auf 9 Millionen Einwohner*innen an, der Gendarmenmarkt in Berlin wurde gerade erst gebaut und es gab in dieser Zeit gravierende Probleme in der Gesellschaft. So zum Beispiel die große Menge an Gelegenheitsarbeitern, die ohne eine Feste Anstellung blieben, und deshalb dauerhaft in Unsicherheit lebten. Wer verstehen möchte, wieso sich die politische Geschichte der letzten 200 Jahre so entwickelt hat, der braucht dieses Wissen. Die kleinen Hinweise auf die Lebensumstände der Welt von Marx und Engels sind also sehr wichtig und gut. Sie sind nicht dominant, sondern Rahmen des Gesamtpaketes. Teilweise kommen sie leider auch etwas kurz.
Besonders aber habe ich mich auf Kurioses gefreut. Anekdoten und Geschichten die ein Licht auf die beiden Protagonisten werfen, auf denen man ihnen persönlicher begegnet. Die Geschichte über eine Londoner Fastschlägerrei bei der die beiden fast 40-jährigen von der Polizei erwischt wurden. Sie entkamen nur, weil sie davon rennen konnten, ist genau so eine Anekdote. Es geschah mit betrunkenen Kopf, auf einer gemeinsamen Sauftour mit Wilhelm Liebknecht (dem Vater von Karl Liebknecht) und Edgar Bauer. Anscheinend hatte Marx sich bei diesem Partyunterfangen mit seinen Bemerkungen über einige Engländer belustigt. Diese setzten sich zur Wehr, die Situation bäumte sich auf, und am Ende mussten die Deutschen die Beine in die Hand nehmen. Im Reiseführer gibt es dazu den Verweis wo die Herren zum Trinken gewesen sind, 6 der Kneipen gibt es noch.
Kurioses wird auch auf dem Stadtplan gezeigt. Kommunistenkitsch zum Beispiel. Wer kennt sie nicht Marx Büsten und Statuen. Und natürlich werden auch davon einige in dem Reiseführer gezeigt. Tatsächlich ist dieser aber nicht überladen mit dieser Art von Kitsch. Gezeigt wird dafür auch Marx als Kultfigur unserer Gesellschaft. So gibt es in Soho eine Streetart die verschiedene historische Persönlichkeiten zeigt. Das Gesamtbild ist mit einer Uhr verbunden, die einen Mechanismus auslöst, durch den Marx einmal die Stunde einen Schluck aus einer Colaflasche trinkt. Aber um das an Kitsch noch zu toppen: In Trier, der Geburtsstadt von Karl Marx, gibt es an bestimmten Orten Karl Marx Ampelmännchen. Ich finde, die Popkulturellen aufgriffe der Geschichte sind Hochinteressant. Zumal auch deutlich wird, wie unterschiedlich Städte mit dem geschichtlichen Erbe umgehen, denn es gibt auch Orte, die nicht daran erinnern, dass Marx dort gewesen ist.
Besonders freue ich mich aber darauf, dass dieser Reiseführer mich nun für einige Zeit begleiten wird. Und zwar dann, wenn ich in eine der Städte fahre, in denen Marx oder Engels gewirkt haben. Für Menschen die gerne etwas betasten wollen, um etwas zu verstehen. Die selber an dem Ort stehen möchten, um die Geschichte zu begreifen, sich selber ein Bild machen wollen ist dieser kleine Reiseführer super geeignet. Man kann die Orte aufsuchen, und sich selber ein Bild machen. z. B. von den Umständen, oder einfach von den Gebäuden in denen alles stattgefunden hat. Das rundet ein Geschichtsbild im Kopf ab, kann aber auch problematisch sein.
Kommen wir damit zur Kritik. Ich finde es schade das der Reiseführer einen zwar mit nimmt an die Orte der Geschichte von Marx und Engels, aber immer wieder sind die Gebäude verschwunden, umgebaut oder haben sich sonst irgendwie verändert. Nach 200 Jahren ist das auch völlig normal. Schade ist nur, es gibt auch keine historischen Fotos in dem Reiseführer. Und wenn man sich historische Bedingungen vorstellen möchte, wären einige historische Bilder, auch wenn sie nur 50 oder 100 Jahre alt sind, von den historischen Gebäuden interessant gewesen. So lässt einem der Reiseführer mit Fragezeichen im Kopf zurück.
Außerdem finde ich die Gewichtung der gezeigten und hervor gestellten Orte ein bisschen schade. Ich hatte mir weniger einen trockenen Geschichtsvortrag vorgestellt. Und teilweise wirkt es so. Die Sachen sind zwar gut recherchiert und eingängig erklärt, aber immer wieder wirkt es wie eine Aufzählung historischer Daten, und Zusammenfassungen davon wo sich überall Gedenktafeln für die beiden Protagonisten befinden. Der Teil, auf den ich mich eigentlich gefreut habe, die Anekdoten und das Kuriose kommen dadurch ein bisschen sehr kurz. Ich hätte mir einen solchen Reiseführer also unterhaltsamer vorgestellt. Mir mehr Orte und Geschehnisse gewünscht, zu denen es eben keine Gedenktafel gibt. Denn wie man es dreht und wendet, Karl Marx und Friedrich Engels waren beide Menschen wie du und ich. Und wenn man die Wirkungsstätten der Beiden besucht, um der Geschichte auf diese weise auf den Grund zu gehen, dann gehört zu dieser Geschichte nicht nur der historische Umstand, sondern auch der Charakter der Protagonisten. Und dieser Faktor kommt reichlich kurz.
Dennoch möchte ich dieses Buch empfehlen für diejenigen, die sich gerne einen Eindruck machen wollen über das Leben von Marx und Engels und ihre Wirkungsstätten. Lehrer*innen können dieses Buch nutzen, um bei Klassenfahrten in entsprechenden Orten solche historischen Punkte zu finden und mit in das Klassenfahrtprogramm einbauen. Nicht geeignet ist das Buch zum kritischen Hinterfragen, oder hoch loben, der Theorien von Marx und Engels. Der generelle politische Anteil in diesem Reiseführer ist recht klein. Es geht tatsächlich um die Betrachtung der beiden Kommunisten als historische Personen. Und die Betrachtung der mit ihnen verbundenen Orte im Kontext der Geschichte. Und aus dieser Perspektive ist der Reiseführer tatsächlich sehr gelungen.
Abschließend möchte ich sagen, der Reiseführer ist von der Idee her wirklich interessant, und auch schön umgesetzt. Als kleiner Gag gespickt mit vielen kleinen Informationen aus der Anfangszeit der Geschichte des Kommunismus, ist der Reiseführer dienlich. In dieser Hinsicht ist es ein schönes Geschenk für historisch interessierte Menschen. Auch ganz ohne zu reisen, kann man sich durch die Orte durchblättern um kleine und große Geschichten von diesem Teil der Geschichte zu erfahren. Gleichzeitig hätte ich mir aber einen etwas persönlicheren Umgang mit den beiden Protagonisten gewünscht. Dennoch denke ich, dass solche biografischen Reiseführer eine wirklich gute Idee sind. Sie zeigen einem Teile der Kulturgeschichte, die so einfacher zu verstehen und greifbarer sind. Gleichzeitig ist es spannend fremde Orte auf diese Weise zu entdecken. Das Format hat mich sehr überzeugt. Ich wünsche mir mehr biografische Reiseführer zum Welt entdecken und Geschichte verstehen. Vielleicht einen biographischen Reiseführer bei dem man Goethe durch sein Leben begleitet, oder aber Heinrich Schliemann, oder Ida Pfeiffer, oder Harriet Boyd, oder Winckelmann, oder ….
Biografien von interessanten Menschen inspirieren, dass mit einem Reiseführer zu kombinieren gibt einem die Möglichkeit sich Vorort inspirieren zu lassen, oder die Orte wenigstens auf einem Foto zu sehen. Man kommt den Menschen näher und das ist eine wunderbare Idee! Wenn du jetzt eine Meinung zu biografischen Reiseführern hast, dann lasse doch deinen Kommentar da, oder hast du eine historische Person im Kopf, mit der du gerne auf eine Reise seines*ihres Lebens gehen würdest? Dann schreib doch gerne mal wer das ist, und warum? Ich freue mich darauf!