Von: Harry Meyer Baujahr: 1963
Gründer des Tengu Wadersloh e. V., des ältesten Bujinkan-Vereins Deutschlands, erster Deutscher im Hombu-Dojo von Dr. Masaaki Hatsumi, trainiert seit über 30 Jahren die traditionellen Kriegskünste
Ninja, die schwarz gekleideten Superkämpfer der japanischen Geschichte sind in Kino und Manga überaus präsent. Gab es diese Ninja wirklich, oder sind sie ein Produkt einer überreizten Phantasie? Was konnten Sie wirklich, was ist Fiktion?
Wer sich mit dem Thema „Ninja“ auseinander setzt, findet zunächst viele Geschichten – meist aus dem 16. Jahrhundert. Die Vokabel „Ninja“ taucht sogar erst im 19. Jahrhundert in der Literatur auf. In diesem Zusammenhang werden auch zwei Orte erwähnt. Der eine ist die Stadt Iga Ueno, der zweite ist der Ort Koka (von amerikanischen Autoren oft falsch als Koga übersetzt). Beide Städte sind selbst auf einer modernen Landkarte zu finden. Unser Ziel war es, diese Städte zu besuchen und nach den Spuren der ursprünglichen Ninja zu fahnden und, wenn möglich, neue Erkenntnisse mitzubringen. „Wir“, das sind der 1. Vorsitzende (Author) und die 3. Vorsitzende, Frau Sokolowsky, des ältesten Bujinkan-Vereins in Deutschland. Ursprünglich 1986 unter dem Namen „Tengu Wadersloh e. V.“ gegründet. Der Verein hat widmet sich, neben dem körperlichen Training, auch der japanischen Geschichte und Kultur.
Iga Ueno, „Ninja City“ liegt, ca. eine Stunde mit Japan Rail, östlich von Nara. Iga Ueno hat längst aus seiner Geschichte Kapital geschlagen. Hier liegt das bekannteste Ninja-Museum des Landes und ein Ninja-Haus. Das Museum beherbergt historische Waffen und Zubehör der Ninja. Einiges davon lässt einen an einen feudalen James Bond, inklusive allen Zubehörs, denken. Kletterkrallen zum Eindringen in Festungen werden ebenso gezeigt, wie „Misugumu“, eine Vorrichtung, mit der man über Wasser laufen können soll (dazu später mehr).
Das Ninja-Haus ist eine Ansammlung von trickreichen Vorrichtungen, die z. B. als Waffenverstecke dienen, zum Teil aus verborgenen Türen und Fallen, die ein Entkommen des Hausherrn bei Bedrohungen ermöglichen sollten.
Wer also waren diese „Ninja“? – Das Bild, welches wir heute präsentiert bekommen, stammt aus dem 16. Jahrhundert, also einer Zeit, als die „Ninja“ mehr oder weniger bereits von der Bildfläche verschwunden waren. In den populären Holzschnitten dieser Zeit werden die Ninja gerne als schwarz gekleidete Eindringlinge dargestellt. Diese Darstellungsform hat sich bis heute erhalten und findet im TV, Kino und Manga seine Fortsetzung. Um sich dem realen Ninja anzunähern müssen wir das 16. Jahrhundert hinter uns lassen und wesentlich weiter in die Geschichte zurückgehen.
Japan 8. – 9 Jahrhundert: Zwei große Fokusgruppen streiten um die Vorherrschaft in Japan. Auf der einen Seite die Minamoto (Heike), auf der anderen Seite die Taira (Buke). Die Minamoto entstammen dem Hofadel und sind, in den Augen der Buke, verweichlicht. Die Buke stammen aus den Kriegerfamilien, in den Augen der Minamoto sind sie unzivilisierte Bauerntölpel. In Zeiten von Krieg haben Agenten, Spione und Spezialtruppen natürlich Hochkonjunktur. Alle Seiten versuchten, sich Informationen zu verschaffen und sich einen Vorteil zu verschaffen. Ist eine Burg nicht zu erobern, wie wäre es, bei Nacht und Nebel einzudringen und die Burg von innen heraus zu zerstören?
Mit dem Buddhismus kamen auch die alten chinesischen Klassiker nach Japan. Die Einführung des Buddhismus in Japan ist ab 552 sicher datiert. Sun Tzu hatte bereits ein Werk „Über den Krieg“ veröffentlicht. Im letzten Kapitel referiert Sun Tzu über Spione und Agenten, und natürlich darüber, wie man mit Ihnen umgeht. Im kriegerischen Japan fiel dieses Werk natürlich auf fruchtbaren Boden. – Lediglich, woher sollte man diese „Spione“ kurzfristig bekommen?
Als erstes schaute man in den eigenen Reihen, der Kämpfer (die Samurai, als Kaste, entstanden erst viel später). Statt einer langen Belagerung, mit vielen Verlusten in den eignen Reihen, könnte eine List weiterhelfen. Eine japanische Burg besteht zu einem großen Teil aus Holz, von außen mit Putz verkleidet, damit das Gebäude nicht so feuergefährlich ist. Ein trojanisches Pferd gab es in Japan nicht, aber Freiwillige, die bereit waren nachts die Burgmauern zu erklettern und die Burg von innen in Brand zu setzen, die waren zu finden. Diese Freiwilligen trugen natürlich, um nicht so schnell aufzufliegen, die Rüstungen des Gegners. Es sind einige Fälle überliefert, wo die Eindringlinge ihre Banner mit über die Mauern brachten, wohl auch um nicht von den eigenen Truppen niedergemacht zu werden. Es ist ebenfalls überliefert, dass diese Kommandotruppen sich nach der Brandstiftung als reguläre Kämpfer zu erkennen gaben um sich das Prestige (… und die Belohnung) zu sichern.
Ebenso schnell, wie die Japaner lernten diese Taktiken einzusetzen, erlernten sie auch die Taktiken, die es ermöglichten dies zu verhindern. In der Folge wurden die Festungen immer ausgeklügelter. Mit der Entstehung der Samurai (-kaste) in der Kamakura-Zeit (1185 – 1333) änderte sich nicht nur die Kriegführung, es wurde auch nicht mehr als ehrenvoll angesehen, nachts über Mauern zu steigen. Der Ehrenkodex der neuen Krieger – Elite sah ein solches Verhalten als feige an. Der Samurai wollte die ehrenvolle Feldschlacht mit dem Gegner, den Kampf, Mann gegen Mann. Dieser Ehrenkodex ist als Bushido, der Weg des Kriegers, bekannt.
Woher bekommt man also nun die dringend benötigten Spezialisten? – Der Weg führt ins Gebirge. 1200 Meter hoch liegt das Gebiet von Togakushikogen. Hier oben gedeiht kein Reis. Die Menschen leben von Soba (Buchweizennudeln) und dem Handel mit Holz, das auf den steilen Hängen wächst. Es gibt ein wenig Seidenerzeugung, aber die Gegend ist arm. Hier finden wir eines der ursprünglichen Zentren dessen, was später als „Ninjutsu“ bekannt werden sollte. Eine der Tücken bei der Forschungsarbeit ist u. a. die japanische Sprache. Die Vokabel „Ninja“ bedeutet sowohl „insgeheim“, als auch „verschwiegen“. „Jutsu“ kann man als „Technik“, „Bewegung“ oder „Zauberei“ übersetzten. Um dies noch mehr zu steigern ändern die Schriftzeichen im Laufe der Zeit a) ihre Bedeutung und b) ihre Aussprache. In der Kamakura Zeit wäre nicht von Ninja, sondern von Bärenjägern, Holzfällern, Räubern und Piraten gesprochen worden. Dank des Hochgebirges ausdauernde und im klettern erfahrene Männer. In den, immer noch existierenden Schriften der Togakure Ryu (Togakure Schule, Ninja-Schule) finden wir auch Hinweise auf die Kleidung. Zitat:
Die weiblichen Ninja, Kunoichi genannt, kamen bei diesen Kommandoeinsätzen weniger zum Einsatz. Das Frauenbild des alten Japan ähnelt sehr unserem modernen. Die Kunoichi waren daher eher für die Infiltration und Informationsbeschaffung zuständig. Dies heißt nicht, dass sie nicht in den Kriegskünsten ausgebildet waren.
Das Japan des 16. Jahrhunderts
Viele Regionalfürsten (Daimyo) eiferten darum, einen möglichst großen Teil des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. In der Folge wurde das Land von Krieg verwüstet. Die Sengoku – Zeit (Zeit der kriegführenden Staaten) ging von etwa 1477 – ca. 1573. Sie wurde nahtlos von der Epoche der drei Reichseiniger (Asuch-Momoyama-Zeit) abgelöst, die ebenfalls kriegerisch war und erst mit dem Shogunat von Tokugawa endete.
Iga Ueno liegt auf einer Hochebene, ca. eine Stunde mit dem Zug von Nara entfernt. Einer der drei „Reichseiniger“, Fürst Nobunaga, eroberte Iga trotz dessen erbitterten Widerstands. In den Bergen zwischen Nara und Iga kam es dabei zu einem erbitterten Guerillakrieg. Im Museum von Iga Ueno kann man heute noch die Ausrüstungsgegenstände der Krieger aus Iga besichtigen. Man findet hier bereits dunkle Kleidung, die aber immer noch für die Benutzung auf dem Schlachtfeld ausgelegt ist. Kettenhemden und Schuppenpanzer sind in braun und grau Tönen gehalten, also Farben, die in der Natur untergehen. Spezialausrüstung, die das Bewegen und den Kampf im Gebirge ermöglichen, werden präsentiert.
Iga Ueno (.. und auch das, nur wenig entfernte Koka) mussten die Besatzung hinnehmen. In den letzten Tagen der Kriege um die Reichseinigung wird die Provinz Iga zu einem der Hauptschauplätze der japanischen Geschichte. Tokugawa Ieyasu zieht unbehelligt durch das Gebiet nach Kyoto. Er „bittet“ den Kaiser, während seine Armee vor den Toren Kyoto´s steht, um den Titel des Shoguns. Der Kaiser willigt ein und Tokukawa leitet eine Epoche von ca. 300 Jahren ohne Krieg ein. – Im Museum von Iga Ueno findet man ein Ausstellungsstück, das mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet. Dort befindet sich ein prunkvoll besticktes Lederkissen, das den Fürsten von Iga als Dank von Tokugawa überreicht wurde. Es scheint sich hier also um ein abgekartetes Spiel gehandelt zu haben. Leider gibt es bis jetzt noch keine Dokumente, die dies eindeutig beweisen würden.
In Friedenszeiten ist der Bedarf an Spionen nicht wirklich groß. Shogun Tokugawa machte die (Iga-) Ninja zu seiner Leibgarde. Es ist überliefert, das Ninja als „..Ziele für die Schneebälle von Samurai-Mädchen..“ dienten. In diesen Zeiten wurde Informationsbeschaffung wichtiger als der Kampf. Tokugawa musste die Fürsten überwachen und Kontrollieren um an der Macht zu bleiben. Teil der Kontrolle war ein rigoroses Steuersystem, damit niemand mehr eine Armee aufstellen konnte. Tokugawas Spione reisten als Händler, Mönche oder Schausteller durch das Land und meldeten jede Auffälligkeit. Sie wurden als Gärtner oder Köche in die Höfe der Fürsten eingeschleust um frühzeitig den Shogun zu warnen. In dieser Zeit (Tokugawa Zeit) entstanden die Holzdrucke, deren Markenzeichen der „Ninja“ mit der schwarzen Maske war. Viele „Erinnerungen“ an die Zeit der Kämpfe wurden in diesen Geschichten, meist durch Samurai, glorifiziert. Um die Ninja entstand der Mythos der Unbesiegbarkeit, manchmal wurden auch übernatürliche Kräfte angeführt. Gegen einen solchen Gegner einen Kampf zu verlieren war keine Schande.
Heute führen die Ninja ein eigenständiges Leben in Manga, Kino und TV. Geschichten aus dem 16. Jahrhundert werden theatralisch aufbereitet. Dabei fällt immer wieder ein Name, der die Vergangenheit lebendig hält. Dr. Masaaki Hatsumi, inzwischen im Ruhestand, war „technischer Berater“ bei Film- und Fernsehproduktionen. Er lebt in einer kleinen Stadt, ca. 45 km nordöstlich von Tokyo, in Noda. In den 1980gern trat er als „Soke“ (Familienoberhaupt) von 9 tradierten Schulen an die Öffentlichkeit und erlaubte Ausländern am Training teilzunehmen. Inzwischen ist aus diesem Bujinkan-Dojo eine weltweite Organisation hervorgegangen, die die Kunst der Ninja am Leben hält. Hier ist es möglich, die alten Kampftechniken zu erlernen. Auch andere Städte beginnen damit, ihre Vergangenheit in Ninjutsu aufzuarbeiten. Hierbei ist das Ninja Research Center, eine Abteilung der Universität Mie, Mie Präfektur, Iga Ueno Shi, eine wertvolle Hilfe.
Die Forschung geht weiter. Viele Familien geben ihre privaten Historien und Artefakte an Museen, da es z. T. an Erben fehlt. Ebenso werden in Japan immer mehr Ninja Häuser entdeckt, die bisher als ganz normale Wohnhäuser genutzt wurden. Die Ninja werden nicht mehr in dem „amerikanischen Schmuddel-Image“ gesehen, sondern die Erforschung dieses Teils der Geschichte wird sehr ernst genommen. Hier findet in Japan eine Neubetrachtung statt und die Museen und Museumsdörfer sind im Besitz von bisher unbekannten Ausrüstungsgegenständen, oder speziellen Varianten. Ebenso wird an der Universität der Präfektur Mie die wissenschaftliche Forschung weiterverfolgt. Es tauchen aus Nachlässen immer mehr Dokumente auf, die historische Ereignisse z. T. in völlig neuem Licht erscheinen lassen. Inzwischen hat auch die Gemeine Koka ein Ninja-Museum eingerichtet. Hier bietet sich u. a. die Gelegenheit, die o. g. „Misugumo“ zu testen. Kann ein Ninja über Wasser laufen? – Die Ausstellungsstücke in Iga Ueno lassen einen da zweifeln. Um die Spannung nicht weiter anzuheizen und das Rätsel zu lösen: Die Misugumo sind in der Literatur beschrieben. Es gibt aber mind. 3 Varianten! Mit der in Iga ausgestellten Variante kann man über ein geflutetes Reisfeld laufen, ohne einzusinken. In der Vitrine wird eine zweite Variante als Abbildung präsentiert, mit der man sitzend Wasser überqueren kann. – Die Variante in Koka erlaubt es, über Wasser zu laufen. Als Hilfsmittel braucht man ein Paddel, oder ein Seil, an dem man sich entlangziehen kann.
Wer mehr wissen möchte:
Der japanische Fernsehsender NHK hat eine Sendereihe auf Englisch unter dem Titel „Ninja Truth“ veröffentlicht. Die Teile 1 – 6 sind bei Youtube erschienen. Die Teile 7 und 8 findet man unter NHK world, on demand. Alle Teile sind hervorragend recherchiert.
Die Bücher des amerikanischen Historikers Steven Turnbull sind eine hervorragende Quelle für bisher unbekanntes Material und waren für unsere Recherche zum Background der japanischen Piraten (Bafu) des 8. / 9. Jahrhunderts und der Piraten der Innlandsee des 16. Jahrhunderts eine wertvolle Hilfe.
In Deutschland gibt es das Bujinkan-Dojo. Hier werden die tradierten Kampfkünste überliefert und weitergegeben. Mit dem Stichwort „Bujinkan Dojo offene Dojoliste“ erhält man eine Aufstellung der Trainingsorte.
NINJA TRUTH Compilation, Quelle: NHK https://www.youtube.com/watch?v=BA995pY7E18
NHK world – Ninja: https://www3.nhk.or.jp/nhkworld/en/ondemand/video/?p=result&mode=all&key=all&keyword=ninja&type=tvEpisode&
Ninja Research Center, Iga Ueno, Mie Präfektur: http://ninjacenter.rscn.mie-u.ac.jp/en/guide/
offene Dojo-Liste: http://www.bujinkan-deutschland.de/offene-dojoliste.pdf
Dokumantation Ninja Truth: https://www3.nhk.or.jp/nhkworld/en/ondemand/video/3019104/?fbclid=IwAR1eUKdq1kJHfTWgUt4Bq6jcvKpwLvbs1XvzWpbzdAM6OqUp50ISTDTCaRc
Literatur:
Dr. Massaki Hatsumi, Ninjutsu – History and Tradion, engl.
Steven Turnbull, Ninja AD 1460–1650. Oxford: Osprey Publishing.
Steven Turnbull, Fighting Ships of the Far East (1): China and Southeast Asia, 202 BC-AD 1419. Oxford: Osprey Publishing.
Steven Turnbull, Fighting Ships of the Far East (2): Japan and Korea AD 612-1639. Oxford: Osprey Publishing.
Steven Turnbull, Japanese Warrior Monks AD 949–1603. Oxford: Osprey Publishing.
Sun Tsu, “..über den Krieg”
Minamoto Musashi, Go Rin o Sho – Das Buch der 5 Ringe