Mit Röntgenstrahlen in die Vergangenheit

Es regnet in Strömen an diesem Sommermorgen, an dem Dr. Frank Meissner vom TÜV NORD mit dem Auto nach Oldenburg fährt. Im Kofferraum hat er eine mobile Röntgenanlage und ein passendes Stativ. Der Physiker freut sich auf einen besonders spannenden Tag mit einem Team in dem Archäologen mit Physikern zusammenarbeiten und Artefakte röntgen. Ein Auftrag der für ihn etwas Besonderes ist. Denn das er als Strahlenphysiker Archäologen bei ihrer Arbeit unterstützt, ist auch für ihn etwas Außergewöhnliches. Als er ankommt, beginnt dann auch noch die Sonne zu scheinen. Die Begrüßung ist etwas schüchtern und eine leichte Aufregung zittert durch die Flure des Landesmuseums Natur und Mensch Oldenburg. Es kennen sich noch nicht alle, die an diesem einmaligen Tag zusammenkommen.

Die Funde die geröngt werden sollen, stammen aus diesen Urnen.

Die Funde die geröngt werden sollen, stammen aus diesen Urnen.

Es sind Grabbeigaben aus einem Gräberfeld aus Schortens, die heute durchleuchtet werden sollen. Über das Gesicht von Kara Schmidt, von der Universität Münster, flackert ein nervöses Lächeln. Sie wird ihre Doktorarbeit über diesen Fundplatz schreiben. Heute wird sich entscheiden, wie gut sich das Material für eine genauere Datierung eignet. Das Gräberfeld aus dem Frühmittelalter wurde bereits vor über 50 Jahren entdeckt und seit dem nur in kleinen Teilen veröffentlicht. Ob noch einige besonders schöne Stücke unter den Funden sind, ist unbekannt. Bislang sehen sie nur aus wie rostige Klumpen. Der Zahn der Zeit hat dazu geführt. Eisen rostet unter der Erde. Durch bestimmte chemische Prozesse, die auch in Abhängigkeit zu der chemischen Zusammensetzung des Bodens stehen, reagiert die Erde um die Artefakte herum auch. Dadurch sind die einzelnen Gegenstände nach einigen Jahrhunderten umgeben von einer darum herum gewachsenen Rostschicht. Einfach aufbrechen kann man diese Klumpen nicht, denn damit würden die Fundstücke in der Mitte vielleicht beschädigt werden. Zudem haben sich durch den Oxidierungsprozess um die Artefakte herum gelegentlich Textilreste erhalten. Diese wertvollen Funde würde man durch ein Öffnen der zusammenkorrodierten Gegenstände zerstören. Deswegen lässt Kara ihre Artefakte röntgen. So möchte sie heraus bekommen, was in den Gräbern aus Schortens gelegen hat. Es könnte sich so auch zeigen, ob einige dieser Objekte evtl. doch noch gut genug erhalten sind, um das ein oder andere Objekt aus dem rostigen Gefängnis zu befreien.

Ein Langer Kellerflur mit einem Stark gebogenen Gewölbe das weis gestrichen ist

Dieses Kellergewölbe beziehen die Wissenschaftler*innen für ihre Untersuchungen. Normalerweise dient es dem Oldenburger Landesmuseum für Natur und Mensch als Magazin.

Das Team bezieht die Kellerräume des Oldenburger Landesmuseums. Zwischen 8 und 10 Leute wuseln in dem Kellergewölbe zeitweilig durcheinander. Zunächst wird die mobile Röntgenanlage vom TÜV NORD für diesen Tag in einem Zimmer installiert. Die einen legen die Funde bereit und verwalten diese, die anderen bereiten die Kameraausrüstung für die Dokumentation vor. Daneben steht die immer noch nervös lächelnde Kara Schmidt. Sie ist aufgeregt, kann aber noch nichts dazu beitragen, denn die Arbeiten werden von dem jeweiligen Fachpersonal vorgenommen. Karas Aufgabe wird es sein, die Röntgenbilder anzusehen, zu bewerten und im Zweifel zu entscheiden welche Objekte aus einer anderen Perspektive noch einmal geröntgt werden müssen. Unterdessen richtet Dr. Frank Meissner das Röntgengerät genau aus. Dieses ist an einem besonders standfesten Stativ befestigt, und es gilt die richtige Höhe zu finden, sodass die Röntgenstrahlen die ausgelegten Artefakte möglichst optimal treffen. Ein zweites Stativ für die Kamera wird aufgebaut und so positioniert das Fotos der Artefakte aus exakt der gleichen Position entstehen, wie die Objekte auch durchleuchtet werden. So kann der Vorgang genau dokumentiert werden und die Röntgenaufnahmen bleiben dem jeweilgen Rostklumpen zuordenbar. Außerdem entstehen Bilder, die man später genau übereinander legen kann, um zu zeigen, was dank einer Röntgenaufnahme sichtbar wird.

Der Aufbau des mobilen Röntgenapparates vom TÜV NORD. Er hängt an einem Stativ über den Artefakten. An einem zweiten Stativ, wird die Kamera befestigt.

Dann wird es auf einmal hektisch. „So, alle raus jetzt!“, heißt es und das ganze Wissenschaftsteam verlässt den Raum in dem die Geräte aufgebaut wurden. Eine Testaufnahme von den ersten Objekten soll gemacht werden. Die Strahlung ist für Menschen nicht ungefährlich, deswegen müssen alle, bei jeder Aufnahme, den Kellerraum verlassen. Durch ein langes Kabel wird das Röntgengerät ausgelöst und die erste Aufnahme des Tages gemacht. Im Flur vor dem Zimmer sitzt Fatima-Zahra Mallal vom TÜV NORD an einem Schreibtisch. Die junge Physikerin ist Expertin für die röntgentechnische Analyse von Artefakten und Kunstgegenständen. Dieses Themenfeld hat sie für sich bei ihrer Masterarbeit entdeckt, für die sie ein Gemälde analysierte. Seit dem hat sie die Erforschung der Kulturgeschichte mit physikalischen Methoden nicht mehr losgelassen. Heute ist sie die erste, die jedes Röntgenbild zu sehen bekommt. Sie bedient die Software mit der die Bilder direkt auf einem Bildschirm angezeigt werden. Und während die Anspannung beim gesamten Team steigt, bleibt Fatima die Ruhe selbst. Das färbt langsam auch auf Kara Schmidt ab, die direkt neben Fatima steht und gebannt auf den Bildschirm starrt. Anspannung erfüllt das Magazin des Landesmuseums das sich zunehmend mit Menschen füllt die alle einen Blick auf das erste Bild des Tages erhaschen wollen. Es ertönt ein Pfeifton und wenige Sekunden später erscheint das erste Bild. Die Maschine funktioniert. Alles ist richtig aufgebaut, der erste Test war erfolgreich. Ein Hauch der Erleichterung geht über alle Gesichter. Die ersten Artefakte sind zu sehen. Dann wieder großes Gewusel, die Artefakte werden fotografiert und es blitzt immer wieder in dem kleinen Kellerraum in dem sich immer wieder viel zu viele Menschen aufhalten. Dann heißt es wieder: „Raus in den Flur!” Es dauert nur einen kurzen Augenblick, Fatima lädt die neue Aufnahme und ist verwundert. „Hier stimmt was nicht!“.

Ein Laptop auf dem ein seltsames Röntgenbild aus wirren geometrischen Formen angezeigt wird.

Schnappschuss von dem rätselhaften Röntgenbild

Alle sind verwirrt, ein seltsam unpassendes Bild ist zu sehen. Es zeigt keine Artefakte sondern einen grauen Kreis und mehrere Rechtecke. Wie konnte das passieren? Es beginnt ein kurzer Moment des Rätselratens. Eines ist klar, die Artefakte lassen sich auf dieser Aufnahme nicht erkennen. Das Bild, das alle sehen, ist äußerst rätselhaft. Fatima überprüft alles. Kara runzelt besorgt die Stirn. Auch der Blick in die Geschichter der anderen Beteiligten verrät das hier gerade etwas verdammt seltsames passiert ist. „Also, ein Softwarefehler ist es sicher nicht“ gibt Fatima zu verstehen. Frank geht schließlich zu dem Röntgenapparat um zu überprüfen ob dort vielleicht ein Fehler zu finden ist. Sogleich ist schallendes Gelächter zu hören. „Wir haben die Kamera geröntgt!“ ertönt es aus dem Nebenzimmer. Die Kamera war noch an dem Stativ in der Fotoposition direkt unter dem Röntgenapparat aufgebaut. Erleichterung macht sich zum zweiten Mal an diesem Tag breit. Alle zeigen sich belustigt über den unerwarteten Einblick in einen Fotoapparat. Kurzerhand wird die Kamera beiseite geräumt und die Arbeit kann weiter gehen. Es dauert nur wenige Sekunden und ein großes Staunen liegt in der Luft. „Das ist ja sensationell! Was ist das?“. Kara Schmidt strahlt über das ganze Gesicht. Es ist das eingetreten, was sie sosehr gehofft hatte. Ein kleiner unscheinbarer Metallbrocken hat sich als ein ganz besonders schöner Fund herausgestellt. Das Röntgenbild zeigt im Inneren eine kleine Doppelspirale.

Aus einem kleinen Klumpen Rost wird unter dem Röntgenapparat ein wunderschönes Fundstück.

Es handelt sich vielleicht um einen Kettenanhänger oder einen Teil einer Nadelröhre. Auf jeden Fall ist die Form des Objektes unerwartet hübsch, bedenkt man das bis vor wenigen Sekunden nur ein rostiges Metallstück bekannt war. Eine Welle der Begeisterung macht sich im ganzen Team breit. Dann läuft alles wie am Schnürchen. Die Artefakte werden, eine Auswahl nach der nächsten, bearbeitet und Röntgenbild nach Röntgenbild wird von Kara begutachtet. Doch alle Objekte werden nicht unter die Maschine gelegt werden können. Dafür sind es viel zu viele. Damit dennoch das Wichtigste angesehen werden kann, hat Kara eine Liste verfasst und die Artefakte so in 3 Prioritätskategorien eingeteilt. Die wichtigsten Klumpen werden zuerst durchleuchtet, die weiteren sind vernachlässigbar. Die Restauratorin vom Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg sortiert die Funde nach diesen Vorgaben. Das muss sehr sorgfältig geschehen, damit die Rostklumpen nicht durcheinander geraten. Denn die einzelnen Metallbrocken und Brösel gehören zu bestimmten Gräbern. Werden sie verwechselt, können die einzelnen Bestattungen nicht mehr im korrekten Kontext betrachtet werden. Deswegen ist jedes Objekt mit einer Nummer verzeichnet und diese Nummern dürfen auf keinen Fall durcheinandergebracht werden. Diese sorgfältige Vorgehensweise ist mühselig und anstrengend, zumal sich viele der der einzelnen Stücke einander oberflächlich sehr ähneln. Es dauert einige Aufnahmen, bis es einen weiteren Fund gibt, der Begeisterung auslöst.

Die Nähnadel aus dem Mittelalter steckt noch in dem Behälter, in dem sie aufbewahrt wurde.

Es handelt sich um eine Nadel in einer Nadelröhre. Solche Gegenstände gehörten zu dem Gürtelgehänge frühmittelalterlicher Frauen. Eine Nähnadel war so immer zur Hand wenn sie benötigt wurde. Sie wurde in einer kleinen Röhre aus Metall oder Knochen aufbewahrt und diese war meistens mit einem Stück Stoff umwickelt. Das Textil hat sich dank des Rostes erhalten und seine Struktur ist auf dem Röntgenbild sogar noch zu erkennen. Ein ganz besonders schöner Fund. Das man so deutlich erkennen kann, wie die Nadel in der Röhre steckt, ist der Dichte der Materialien zu verdanken. Das Eisen, aus dem die Nadel besteht hat die größere Dichte und zeichnet sich deswegen auf dem Bild am stärksten ab. Das Textil und die Hülle haben eine nicht so große Dichte, deswegen ist dieses Material nicht so stark auf dem Röntgenbild zu erkennen.  Das Ergebnis ist eine Aufnahme, die einen Alltagsgegenstand aus dem Frühmittelalter so zeigt, wie er tatsächlich verwendet wurde. Staunend steht vor allem der Strahlenphysiker Frank vor diesem Bild. „Das ist mein heutiger Lieblingsfund“ verkündet er schließlich.

Immer wieder versammeln sich die Wissenschaftler*innen um die neuen Röntgenaufnahmen und beraten über die neuen Erkenntnisse.

Im Laufe des Tages wächst das Team nach und nach richtig zusammen. Routiniert stehen alle vor den immer neuen Bildern, die Objekte aus einer fremden Zeit zeigen. Mal etwas enttäuscht und mal staunend. Mit jeder Aufnahme bekommt Kara Schmidt mehr Zuversicht darauf, eine tolle Arbeit verfassen zu können, denn Bild für Bild entstehen neue Erkenntnisse. Als dann auch noch einige damaszierte Schwertklingen erscheinen, ist ihr Glück perfekt. Die Röntgenaufnahme zeigt so viele Details, das sich auf dem Bild noch die einzelnen Arbeitsschritte mit denen das Schwert gefertigt wurde erkennen lassen. Eine schönere Faktenlagenlage für ihre Forschung hätte sich die junge Archäologin nicht wünschen können.

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3 Gedanken zu „Mit Röntgenstrahlen in die Vergangenheit

  1. Die ersten Ergebnisse machen Hoffnung, weitere Förderung in dieser Richtung zu bekommen. Allerdings sollten diese- und weitere Ergebnisse veröffentlich werden um an die Fördertöpfe zu kommen.

  2. Pingback: Archaeology 2023-11-03 – Ingram Braun

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