Vielleicht ist es dir schon einmal aufgefallen. In der Archäologie reden wir dauernd von irgendwelchen „Typen“. Und nein, damit ist nicht der Typ von der letzten Party gemeint, sondern es geht um Fundstücke. In der Archäologie sprechen wir von „Typologien“ – das sind grobe Einordnungen von Artefakten, die sich vor allem an Materialmerkmalen und stilistischen Eigenschaften orientieren. Das hilft uns, Funde zu sortieren, aber auch, sie grob zu datieren. Es ist also keine supergenaue Wissenschaft wie in den Naturwissenschaften, sondern eine eher relative Einordnung, die uns eine Orientierung gibt, um Artefakte in eine ungefähre chronologische Reihenfolge zu bringen. Das, was wir daraus ableiten, heißt, deshalb auch relative Chronologie.

Verschiedene Typologien von Neolithischen Kulturen, ausgestellt im Landesmuseum in Kassel (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Auf dem Bild siehst du, wie das Landesmuseum in Kassel verschiedene Kulturzeiten in Hessen durch typische Artefakte veranschaulicht hat – also Gegenstände, die in ihrer jeweiligen Zeit wirklich repräsentativ waren. Die Ausstellung ist echt beeindruckend, mit Originalfunden, die weitaus schöner sind als die Zeichnungen, die ich damals in den ersten Semestern noch lernen musste. Die Idee, Artefakte so zu vergleichen, geht übrigens auf Oskar Montelius oder Hans Hildebrand zurück, die das schon in den 1870er Jahren in die Archäologie eingebracht haben. Sie waren überzeugt, dass bestimmte Stilrichtungen an eine bestimmte Zeit gebunden waren. Eine bestimmte Gestaltungsform war, anders gesagt, die Mode eines kulturellen Abschnittes der Menschheitsgeschichte. Je weiter sich ein Stil verbreitet hatte, desto mehr konnte man ihn für eine zeitliche Zuordnung nutzen.

Trichterbecher aus der Jungsteinzeit – hat man die Typologien erst einmal gelernt, erkennt man ihn sofort, und weiß: Achso! Beginn der Jungsteinzeit. Zu sehen ist dieser hier im Schwedenspeichermuseum in Stade (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Ein weiterer wichtiger Faktor bei der Datierung ist der sogenannte „geschlossene Fund“. Das bedeutet, dass mehrere Objekte gleichzeitig z.B. in einem Grab oder einem anderen Fundzusammenhang niedergelegt wurden und seitdem unverändert geblieben sind. Diese gleichzeitige Ablage von Gegenständen hilft uns, festzustellen und auch zu belegen, dass verschiedene Stilrichtungen zur gleichen Zeit in einem bestimmten Raum existiert haben. Man kann dann sagen, welche Gegenstände die Menschen aus genau diesem Zeitabschnitt kannten – und manchmal kann man auch sehen, dass es Objekte sind, die man in einem Zusammenhang nicht erwartet hätte, weil sie aus einer ganz anderen Region stammen. Zum Beispiel bei der Frau von Molzbach konnte man solche Beobachtungen machen. Das tolle ist, man weiß dann auch ganz genau: Diese beiden Kulturen kannten sich, lebten also zeitgleich. Und je genauer man dann den einen Fund datieren kann, umso genauer wird dann auch die Beschreibung der anderen Kultur – weil wir konnten ja beweisen, sie lebten zeitgleich.

Inhalt eines besonders prunkvollen Grabes aus dem 8ten Jahrhundert, in Verucchio in Italien – wir wissen bei so einem Fund, welche Objekte alle gleichzeitig bekannt gewesen sein müssen – sonst währen sie nicht alle gleichzeitig in das Grab gelegt worden. Das Foto habe ich im Museo Civico in Veruccio gemacht. (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE))
Diese Art des vernetzten Denkens macht die Archäologie besonders interessant. Es ist einer der Gründe, warum auch die Untersuchung von auf den ersten Blick unscheinbaren und Fundplätzen relevant sein kann. Denn es gibt kleinste Puzzlestückchen, die dem Gesamtbild hinzugefügt werden, das wir bei der Rekonstruktion vergangener Gesellschaften erzeugen wollen. Dabei war die Erstellung der Typologien ein langwieriger und anstrengender Prozess. Und die Formen im Studium zu lernen, ist besonders nervig. Aber das Ergebnis ist: Heute schauen wir uns eine Scherbe an, wenn ein Fundplatz neu entdeckt wird, und oft können wir nach wenigen Sekunden schon sagen, aus welcher Kultur und aus welchem Zeitraum sie stammt. Das ist das Ergebnis fast 150 Jahren intensiver Forschung, in denen Archäolog*innen Artefakte verglichen und untersucht haben.
Literatur:
Hans-Jürgen Eggers, Einführung in die Vorgeschichte, 5. Auflage, Berlin 2006.
Manfred K.H. Eggert, Prähistorische Archäologie, Konzepte und Methoden, 3. Auflage, Tübingen 2008.
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