Verucchio ist ein Ort ca. 20 km landeinwärts von Rimini entfernt. Ein kleiner Ort auf einem der Berge am Rande der Apenninen. Ich wäre vermutlich niemals hierhergekommen, wenn mich nicht das Museum hierher gelockt hätte. Hier wurde ein Gräberfeld der Villanovakultur gefunden, welches in dem Museum ausgestellt wird. Die vmtl. Älteste bekannte Toga der Welt soll hier ausgestellt sein. Nicht direkt eine Toga, sondern eine Vorform. Um sie zu sehen bin ich hier. Denn, das Textilien erhalten sind, ist eine ausgesprochene Seltenheit in der Archäologie. Vollständig unerwartet fand ich mich, als ich das Museum besuchte, inmitten eines traumhaften Paradieses wieder. Ich war mir auf einmal nicht ganz sicher, ob ich Gast in einer mittelalterlichen Filmkulisse geworden bin.
Auf dem Weg in die Emilia Romagna hatte ich nicht damit gerechnet, dass mein Ausflug mich in ein solches Idyll entführt. Ich bin außerhalb der Saison hier und der Ort touristisch wenig überlaufen. Es gibt zwar hier und da ein paar kleine Hotels, und auch das ein oder andere Restaurant, aber keine Touristentempel oder Souvenirshops. Es ist die Einfachheit, dass normale Leben, und die zeitlose Schönheit die diesen Flecken Erde so wunderschön machen. Ein Kleinod für alle welche nicht nur vor Alltagsstrapazen, sondern auch vor anderen Touristen fliehen wollen.
Es ist still zur Mittagszeit. Ich sehe in der ersten Stunde nicht eine Menschenseele, als ich durch die Straßen wandle, und meinen Augen kaum trauen kann. Lauwarme Luft weht in schattigen Gassen an mir vorbei. Zwischen den Häusern staune ich hier und da über einen Ausblick in die unglaubliche Bergwelt Italiens im weiteren Hinterland. Saftige Wiesen, Hügel, Berge und Wälder erstrecken sich bis in eine scheinbare Unendlichkeit. Schon die Etrusker sollen hier gesiedelt haben, und ich frage mich, ob sie sich diesen Ort vielleicht nur wegen seiner unglaublichen Schönheit ausgesucht haben. Die Panoramen, die sich bei meinem Spaziergang bieten sind, einmalig aufregend, und friedlich zugleich. Alles scheint im Einklang mit der Natur zu stehen.
Die Gassen der Stadt schrauben sich zum Teil steil nach oben. Die Häuser stehen an Abgründen, die tief nach unten klaffen. Alte, kleine Häuschen, die zum Teil liebevoll von ihren Bewohnern gepflegt werden. Die Straßen sind mit Kopfsteinpflaster ausgelegt. Das ist sicher kein Ort für Highheels. Die Wege sind extrem steil, und zum Teil sind es Treppen, und überwölbte Durchgänge, die durch den Ort führen. Ich genieße die Bergluft, und habe zwischenzeitlich Angst mich in dem Gassengewirr zu verirren. Aber es gibt einen Fixpunkt, an dem ich mich orientieren kann. Ganz oben, auf der höchsten Stelle des Berges, thront eine Burg, die über den Ort wacht. Die Rocca del Sasso aus dem 12. Jahrhundert.
Einige Radfahrer überholen mich in der Nähe des Stadtplatzes. Sie haben sich den steilen Weg auf den Berg hoch gequält. Es gibt einen Radwanderweg, der ab und zu doch Menschen in das kleine Städtchen bringt. An einem Brunnen in der Stadtmitte machen sie rast, und füllen ihre Trinkflaschen auf. Das ist nicht ganz einfach, weil sich hier ein Wespennest eingerichtet hat. In der Stadt gibt es sogar ein Radfahrerhotel. Aber alles macht den Eindruck, als ob hier seit ewigen Zeiten die Ruhe selbst wohnt. Alles wirkt unfassbar friedlich und idyllisch, Zeit wird zwischen den teils mittelalterlichen Mauern zu einem belanglosen Wort.
Schließlich komme ich an einem Haus vorbei, dass über und über mit Kakteen geschmückt ist, und kurz darauf erfreue ich mich an einem ganz in Rot gestrichenen Teil einer Gasse. Auch, wenn kaum ein Mensch zu sehen ist, wirkt der Ort charmant und irgendwie dörflich. Es ist ein alltägliches Italien das sich über diesen Bergrücken erstreckt. Ein Stilles, in das zum Teil weder Autos noch Roller kommen, da sie die Treppen nicht überwinden können. Auf einem der vielen Plateaus angekommen kann ich schließlich über die gesamte Stadt hinweg sehen und muss feststellen, dass sie größer ist, als ich erwartet habe. 10.000 Menschen leben hier. Und trotzdem, wer einfach seine Ruhe haben will, der ist an diesem Ort genau richtig.
Den beeindruckendsten Ausblick aber, den finde ich zum Schluss. Die Lage auf der Bergkuppe macht es einem nicht nur möglich auf der einen Seite des Ortes schier unendlich weit in das Landesinnere zu sehen, auf der anderen Seite des Ortes angekommen sehe ich durch die klare Luft herunter auf das italienische Flachland. 20 km weit. Nicht nur über Dörfer hinweg, sondern bis nach Rimini reicht die Aussicht, und dahinter ist das Mittelmeer deutlich zu sehen. Die Adriaküste zeichnet sich als blauer Balken vor dem Horizont ab. Das ist nicht nur überwältigend schön, sondern war in der Vergangenheit sicherlich ein strategischer Vorteil. Heute ist dieses Panorama alleine schon einen kleinen Ausflug wert.
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Hallo Mini
Ein schöner Artikel, hab ich erst jetzt entdeckt
Papa
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Eine wunderbar inspirierende Reisebeschreibung!
Dankeschön!
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Natürlich ist es um die Mittagszeit ruhig. Zwischen 12 Uhr und 16 Uhr halten Italiener entweder Mittagschlaf oder sie verbringen die Mittagshitze in einer Bar. Wenn jemand draußen in der Hitze herumläuft, dann ist es mit großer Wahrscheinlichkeit ein deutscher Tourist. 🙂