Peschiera ist alt, sehr alt. Hier gab es wie am Ledrosee, eine Pfahlbausiedlung. Die Lage ist strategisch günstig. Die Bucht des Gardasees und der Zufluss des Mincio, sind in der Geschichte schon oft von Nutzen gewesen. Die erste militärische Befestigung ist aus römischer Zeit während der Kimbernkriege gegen 100 v. Chr. bekannt. Später gab es hier wie in Sirmione eine Burg der Scalinger. Doch diese verlor zunächst an Bedeutung, und dann an Wehrfähigkeit. Eine venezianische Festung löste sie ab. Napoleon baute die Stellung aus. Das sumpfige Umland, und der See boten zeitweise den perfekten Ort, um einen Zugang nach Tirol zu sichern. Und auch die Österreicher bauten die Festung, die eigentlich eine Stadt ist, weiter aus.
Die Festung Heute
Es ist früher Nachmittag als ich eintreffe und beschließe mir anzusehen wie die Festung den Ort Peschiera umschließt. Die Stadt hat einen unregelmäßig fünfeckigen Grundriss. Dies wurde 1530 von Guidobaldo della Rovere von Urbio im Auftrag von Venedig so gestaltet. Die Region um den Gardasee war damals in ventianische Hände gefallen, und wie das Hafenbecken von Desenzano, wurden in diesem Zuge wirtschaftliche wie militärische Stellungen auf den modernsten Stand gebracht. Peschiera erhielt damals eine Befestigung nach modernem Standard mit 5 Bastionen. Das bedeutet der alte Teil von Peschiera ist eine vollständig umwallte Stadt. Sie erlebte in ihrer Vergangenheit immer wieder Belagerungen, hielt ihnen aber nicht stand. „Das möchte ich mir genauer ansehen“, denke ich und begebe mich zu den Wallanlagen, die seit 2017 zum UNESCO Weltkulturerbe gehören. Der Festungswall ist haushoch, und als ich oben angekommen bin, habe ich einen wunderschönen Ausblick auf den Gardasee und in die Altstadt.
Auf dem alten Wall
Alles ist mit grüner Wiese überwachsen, auf der Umwallung ist ein kleines Biotop entstanden. Meine Idee ist es, einmal auf dem Stadtwall, ganz um die alte Siedlung herumzulaufen. Die Ruhe auf dem Wall ist unfassbar intensiv, und ein Gegensatz zu den Geräuschen der Stadt. Einmal sehe ich sogar wie ein Kaninchen aufgeregt davon hoppelt als es mich bemerkt. Dies ist ein Spaziergang, den man genießen kann.
Plötzlich stehe ich vor einem zusammengefallenen Gebäude, welches vermutlich auch einmal ein Teil der Festung gewesen ist. Sicher bin ich mir dabei aber nicht. Die Ruine ist verrammelt und wirkt mehr als verlassen. Was könnte das für ein Gebäude gewesen sein, in dessen inneren heute Bäume wachsen? Warum steht es hier auf dem Wall? Um festzustellen, aus welcher der vielen Bauphasen dieser Anlage es stammt, kenne ich mich nicht genug aus. Aber, das es aus einer späteren Bauphase stammt, ist klar zu erkennen. Ich tippe auf einen österreichischen Bau, habe aber bis heute keine Bestätigung dafür gefunden.
Fasziniert sehe ich mir das Gebäude an, und gehe mehrfach drum herum, in der Hoffnung eine Erläuterungstafel oder etwas Ähnliches zu entdecken. Doch stattdessen finde ich etwas anderes. Auf dem Boden liegt eine Krankenkassenkarte. “Wenn man so etwas verliert, dann kann das manchmal ganz schön mies sein” denke ich, und packe mein Fundstück ein. Dann gehe ich weiter.
Immer wieder ist der Weg versperrt
Ich muss feststellen, dass es an dieser Stelle nicht möglich ist einfach weiter auf dem alten Stadtwall entlangzuspazieren. Ein ganzes Stück muss man zurücklaufen, um wieder herunter von dem Wall zu kommen. An der nächstgelegenen Stelle steige ich dann wieder herauf. Doch mein Glück verlässt mich, und ich muss einsehen, dass es nicht möglich ist die Stadt auf diese Art und Weise zu erkunden. Also entschließe ich mich dazu einfach anzusehen, was möglich ist.
Festungsstruktur
Die Festung hat fünf Bastionen an ihren fünf äußeren Ecken. Ihre Namen sind Guerini, S. Marco, Cantarana, Feltrin und Tognon. Die beiden Stadttore, Porta Brescia und Porta Verona, prägen bis heute das Stadtbild. Genauso wie die Wasserstraße welche den Ort zusätzlich zu der Umwallung umgibt. Im 17. Jahrhundert wurde die venezianische Festung wiederum aufgerüstet. Im 18. Jahrhundert besetzten die Österreicher das Gebiet. Die von ihnen angelegten Ravelins, dabei handelte es sich um Verstärkungsbauten, sind heute wieder verschwunden. Fünfmal wurde Peschiera abwechselnd von den Franzosen und den Österreichern erobert. Beide versuchten die Festung auszubauen, und sie zu verbessern. Doch die moderne Kriegsführung dieser Zeit brachte der Stadt den Namen “Spucknapf” ein. Innerhalb des kleinen Ortes konnten keine großen Truppenverbände stationiert werden. Und alles innerhalb der Festung wirkte in dieser Zeit viel zu kleinräumig. Es war von daher schwer sinnvolle Verteidigungsstrategien zu erarbeiten. Das sumpfige Umland hatte sich von einem militärischen Vor- in einen Nachteil verwandelt.
1848 traf die Wiener Regierung dann die Entscheidung das Festungsareal mit modernen Befestigungsanlagen auszustatten. Diese wurden weiter außerhalb auf günstigen Plätzen innerhalb der umliegenden Moränenlandschaft gebaut. Der Umfang der Festung verdoppelte sich dadurch auf 15 km. Die letzte der neuen Sicherungsanlagen wurden allerdings nie fertiggestellt, und die neuen Befestigungen bis heute nicht erprobt. In dem Zuge dieses Ausbaus wurden zahlreiche Militärgebäude für verschiedenste Zwecke errichtet. Es ist nicht möglich diese Gebäude zu besichtigen, da sie als Militärstrafanstalt genutzt werden. Das ist einer der Gründe, warum ich den Plan nicht realisieren kann den gesamten Wall einmal anzusehen.
16 Uhr – Die Polizei hat Feierabend
Als die Sonne beginnt den Himmel in Rottöne zu färben, klettere ich auf einen weiteren Teil des Walles, der begehbar ist. Ich erblicke von weitem eine Polizeiwache, und denke, ich könnte dort vielleicht die Krankenkassenkarte, die ich gefunden habe abgeben. Nachdem ich noch einmal das goldene Licht am Himmel bestaunt habe, gehe ich in die Wache hinein. Alles ist Dunkel, und im ersten Moment erkenne ich kaum meine Hand vor den Augen. Eine Glastür im Treppenhaus des Gebäudes führt zu der Wache. Aber die Polizeiwache hat geschlossen. Es ist 16 Uhr, Feierabend. Ich stehe verwirrt da und sehe auf die Öffnungszeiten. Ich bin in dem Erdgeschoss eines Treppenhauses vor dem Eingang der Wache. Es ist extrem still in diesem Gebäude. Als ich beschließe wieder zu gehen, bemerke ich im Augenwinkel etwas merkwürdiges. Ich blicke nach oben, und erschrecke mich unglaublich vor einer stillen menschlichen Gestalt die mich beobachtet. Es handelt sich allerdings nur um eine Puppe. Im ersten Stock steht ein Schaukasten in diesem Treppenhaus. In dem Schaukasten sind uniformierte Schaufensterpuppen ausgestellt.
Eine unerwartete Begegnung
“Wer mich so erschreckt, den muss ich auch fotografieren”, denke ich und betrete das Stockwerk. Hier erwartet mich eine Überraschung. Es gibt noch mehr Schaukästen in dem dunklen Flur. Alles wirkt irgendwie gespenstig. Ich höre Stimmen, je weiter ich gehe, umso lauter werden sie. Am Ende des Flures entdecke ich eine Tür, die einen Spalt weit geöffnet ist. Licht und Stimmen gelangen durch diesen Spalt in den Flur. “Es ist ja doch jemand da” denke ich, greife schon nach der Krankenkassenkarte in meiner Tasche, und stürme drauf los.
Ich platze mitten in das Stadtarchiv von Peschiera. Zwei Herren sehen mich verwirrt an. Wir versuchen uns auf Englisch zu verständigen, kommen dabei aber oft an Grenzen. Einer der beiden Herren ist Archäologe. Er zeigt mir einige Bücher zum Thema Bronzezeit. Ich zeige ihm einige Fotos die ich vor kurzem am Ledrosee gemacht habe. Als er mich fragt, was ich eigentlich wollte und ich ihm von der Krankenkassenkarte erzähle, sieht er mich verwirrt an. Ich bin mir nicht sicher, ob er mich richtig verstanden hat. Um nicht unhöflich zu erscheinen, wechsele ich schnell das Thema, und wir lachen noch einige male bevor ich wieder gehe.
Die letzte Bastion
Schnell habe ich dann noch die letzte Bastion der Festung besucht. Gerade noch rechtzeitig bevor die Sonne verschwand. Doch im Grunde ärgere ich mich heute darüber. Wenn ich einfach in dem Archiv geblieben wäre, oder mich mit dem ortskundigen Kollegen getroffen hätte, dann hätte er mir sicher ganz andere interessante Orte aus der Umgebung zeigen können. Dann hätte ich jetzt mehr zu berichten. Vielleicht gäbe es jetzt noch mehr schöne Erinnerungen. Aber ich war einfach zu versessen drauf einmal um die Stadt zu laufen. Es gab nichts was mich davon abhalten konnte. Wenn ich einmal wieder in der Gegend bin, dann weiß ich jetzt wo ich hin gehen werde.
Und um diese Frage nicht unbeantwortet zu lassen, die Krankenkassenkarte habe ich am gleichen Abend noch beim Rathaus in den Briefkasten geworfen.
Finde hier noch mehr Bilder von meinem Ausflug
Ein Blick in die Bücher
Wer Informationen zu dem Festungsviereck der Österreicher braucht, oder sich etwas näher mit den historischen Zusammenhängen auseinandersetzen will, dem empfehle ich einen Blick in das Buch Das k.k. österreichische Festungsviereck in Lombardo-Venetien. Ein Beitrag zur Wiederentdeckung der Zweckarchitektur des 19. Jahrhunderts zu werfen. Hier ist die Festungsarchitektur der Neuzeit in Bezug auf die Historischen zusammenhängen erklärt. Ich empfehle dieses Buch Studenten auf der suche nach Literatur.
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