In den Norditalienischen Alpen, zwischen den Berggipfeln, liegt der Ledrosee. Idyllisch, türkises Wasser lockt nicht nur Badegäste auf die Campingplätze der Region, die so hoch gelegen ist, dass sich hier manchmal auf die Regenwolken verfangen. Sondern auch ein besonderes Schmankerl der europäischen Vorgeschichte:

Der Fund einer Pfahbausiedlung – bei der man selbst noch die Originalfunde bestaunen kann (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Die original Pfähle dieses Fundplatzes sind zwar abgesperrt, um sie zu schützen, und so nur aus der Ferne zu betrachten. Doch die bronzezeitlichen Holzstämme wurden zum Anlass genommen, um im direkten Umfeld ein wirklich sehenswertes Freilichtmuseum zu errichten.

Archäologische Zone Schild (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Den echten Archäologienerds lockt selbstverständlich der Blick auf die Originalbefunde, die trotz der Distanz zu bestaunen sind. Und dem Laien, lockt das liebevoll hergerichtete Museum, das genau die Pfahlbauten zeigt, die nur wenige Meter entfernt archäologisch aufgefunden werden konnten.

Ein besonderer Anblick. Die Originalpfähle der Siedlung am Ledrosee aus der Bronzezeit (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Aber was sind Pfahlbauen?
Die meisten Leute denken an Menschen, die in Südostasien auf Einbooten hin und her fahren, zwischen kleinen Hütten, die auf Ästen stehen. Menschen, die auf Seen oder Flüssen leben. Doch gab es eine ganz ähnliche Lebensweise in den Alpenseen. An den Feuchtrandgebieten dieser Seen siedelten Menschengruppen schon 4.500 v. Chr. in Pfahlbauten. Dieser Trend zieht sich zum Teil bis in die Eisenzeit. Durch die guten Konservierungsbedingungen von Holz Unterwasser sind viele dieser Siedlungen zu mindestens als Unterbau erhalten. Holzpfähle, einkrachte Gebäudeteile und heruntergefallene oder geworfene Gegenstände geben uns heute Aufschluss über das Leben in diesen Siedlungen (So z.B. auch eine Palisade im Starnberger See).

Der Blick auf das Museum von der anderen Uferseite (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Die naturwissenschaftliche Analyse der Holzreste zeigt den Beginn der Siedlung am Ledrosee zwischen 2.000 und 1.800 v. Chr., und den Bau der letzten Häuser zwischen 1.500 und 1.350. Die Pfahlbausiedlung gehört wie fast alle Alpensiedlungen dieser Art zum UNESCO-Weltkulturerbe. Es handelt sich derzeit um 111 Fundstätten, die diesem Kulturerbe zugerechnet werden.

(Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Wer mehr darüber erfahren möchte, der sollte einmal bei unesco-pfahlbauten.org vorbeischauen. Ich kann aber auch AID Sonderheft „Pfahlbauten rund um die Alpen“ empfehlen. Hier ist es gelungen, eine kleine Zusammenstellung verschiedener alpiner Pfahlbaukulturen in leicht verständlicher Sprache zusammenzufassen. Hier findest du auch weiter Pfahlbausiedlungen, die du besuchen kannst – tolle Ausflüge, den diese Stätten liegen meist in einer unfassbar schönen Natur.
Die Rekonstruktionen vom Ledrosee
Am Ledrosee befindet sich eines der Freilichtmuseen, die Pfahlbauten wieder zum Leben erwecken. Dieses Museum ist nicht so riesig, dafür aber besonders liebevoll gestaltet. Es ist möglich, in die Hütten hineinzugehen, und kleine Welten zu entdecken.

Sehr liebevoll gemacht, der Innenraum eines Pfahlbaues (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Die Innenräume sind mit Alltagsgegenständen bestückt, und es wirkt, als wären die Bewohner nur kurz außer Haus gegangen. Und es wird sogar argumentiert, wieso die Gebäude in dieser Form gebaut worden sind. Denn: archäologische Freilichtmuseen zeigen nur Theorien und Interpretationen.

Eine der Hausrekonstruktionen (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Bei den meisten Häusern der Vorgeschichte sind uns nur Grundrisse bekannt. Diese werden dann zum Teil unterschiedlich interpretiert, sodass viele Ideen nebeneinander stehen. Da wir aber eine Felsritzung haben, die ein Haus zeigt, gibt es hier mehr Belege als in anderen Fällen.

Replik der Felsritzungen, die Pfahlbauten zeigen (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Zwar bleiben die Details Spekulation, aber eine Abbildung eines Hauses ist ein Glücksfall. Besonders gefällt mir an Freilichtmuseen immer, dass sie auch nach Geschichte riechen. Nach Holz, und Feuer, nach Wolle und ein wenig nach Honig. Nach Dingen, die dem Freilichtmuseum eine gewisse Authentizität geben. Und gerade am Ledrosee ist es gelungen, diese Authentizität zu gestalten. Und zwar durch den Blick auf die Originalbefunde, und die Rekonstruktionen. Es scheint etwas zu leben in diesen Häusern, die eine ungewohnte liebevolle Einfachheit ausstrahlen.
Das Museum im Museum
In dem großen Museumshaus, das auch zu dem Komplex gehört, sind Gegenstände ausgestellt, die im See gefunden wurden. An dem Tag, an dem ich das Museum angesehen habe, fand hier ein Kinderfest statt. Es war so viel los, dass es nur begrenzt die Möglichkeit gab, sich etwas anzusehen. Und doch habe ich es geschafft, einige Objekte der hier ansässigen Polada Kultur zu fotografieren Eindrucksvoll ist auch ein Diadem, dass ich allerdings nur als Zeichnung zu sehen ist. Dennoch ist es ein Ausdruck des kulturellen Reichtums an dieser Stelle.

Ein durch das Seewasser gut erhaltenes Korbgeflecht (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Besonders das Korbgeflecht ist spannend, denn solche Funde sind selten. Ein Stück eines Korbgeflechtes verdanken wir den guten Erhaltungsbedingungen im Wasser. Dieser Alltagsgegenstand rückt die Vergangenheit in greifbare Nähe. Alles in allem lohnt es sich, sich die Objekte hier einmal anzusehen. Gerade weil die Polada Kultur in der deutschsprachigen Fachlektüre eher unterrepräsentiert ist, aber einem das Formenspektrum dann doch ungewohnt bekannt vorkommt.
Ein Blick auf die Polada Kultur
Die Polada Kultur ist benannt nach der gleichnamigen Moränenlandschaft, in der sich diese Kultur erstreckt. Sie hat ihre größte Blütezeit in der Mitte des 2ten Jt. v. Chr. Auch die Siedlung am Ledrosee hatte in diesem Zeitraum seine größte Blüte. Sie liegt im Herzen des Raumes, über den sich die Polada Kultur erstreckt. Bei dieser Kultur wird meist von einer Siedlungskontinuität ausgegangen, die sich bis in die Spätbronzezeit hinein zieht. Interessant – den andere Pfahlbaukulturen siedelten nicht so kontinuierlich.

Polada Keramik mit Zickzackzierde (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Auffällig ist hierbei das Siedlungsmodell, bei dem die Pfahlbauten oftmals nicht direkt im Wasser, sondern zum Teil an der Wasserkante oder neben dem See auf dem Trockenen gebaut worden sind. Das Erdgeschossniveau ist hierbei bei allen Gebäuden gleich, während der Untergrund, auf dem die Pfähle verankert sind, verschieden tief ist. Neben den Pfahlbauten kannte die Polada Kultur auch noch andere Siedlungsformen, Pfahlbauten sind dabei nur die bekanntesten Gebäude. Wer an dieser Stelle mehr Informationen braucht, dem empfehle ich einen Blick in Northern Italy Before Rome (Ancient Peoples and Places) von Lawrence Barfield zu werfen.
Spuren des Alltags am Ledrosee – Die Entdeckung der Gnocchi
Pfahlbauten bieten gelegentlich den ein oder anderen neuen Einblick in vergangene Zeiten. Grund hierfür sind die besonderen Konservierungsbedingungen von Gegenständen, die ins Wasser gefallen sind. Das Wasser konserviert uns also nicht nur das Holz, auf dem die Gebäude standen. Auch andere kleine Erkenntnisse lassen sich hier gewinnen.

Ein Einbaum (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
So kamen am Ledrosee die klassischen Keramiken der Polada Kultur zu tage. Doch einige davon hatten eine Zickzackzierde, welche für diese Kultur untypisch ist. Es ist möglich, dass es sich hier um eine regionale Eigenart oder eine Mode handelt. Hier am Ledrosee war es möglich, nicht nur Alltagsgegenstände, sondern auch Nahrungsmittel zu analysieren. Die Analyse von Großresten wie Obstkernen, oder Pollenuntersuchungen konnten hierbei übertroffen werden: Es fanden sich innerhalb des Sees verkohlte Teigwarenreste, die der italienischen Nudelart Gnocchi sehr ähnlich sein sollen. Außerdem deutet der Fund eins Ard, das ist ein spezieller Pflug, die Funktionsweise der vorgeschichtlichen Landwirtschaft an.

Bärenschädel (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Bogen und Wildtierknochen zeigen, dass die Menschen in den Alpen gejagt haben. Hauptsächlich ernährten sie sich aber von ihrem Fang aus dem See. Der Fund eines Kanus belegt die Mobilität zu Wasser. Der Fundplatz am Ledrosee zeigt das Leben in der Vorgeschichte alles in allem in sehr eindrucksvollen Details.
Fazit – Ein kleiner Genuss unter grauem Himmel

Eine rekonstruierte Hütte von innen (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Ich empfehle erst durch das Freilichtareal zu streifen, sich dann das Museum anzusehen und dann das Freilichtareal noch einmal mit ganz neuen Augen zu betrachten. Denn dann kann man die inspirationen und Ideen die hier gebau wurden besser verstehen. Und ich kann diesen Ausflug für die ganze Familie empfehlen, es ist ein tolles Gemeinschaftserlebnis die Häuser der Bronzezeit zu entdecken. Besonders der Thron, der in einer Art schamanen-Hütte aufgestellt ist, beflügelt dabei die Fantasie. Zumal sie von Weiten viel größer wirkt als von nahen.

Hier könnt ihr mich neben der Schmanen-Hütte sehen, als Größenvergleich (Bild: Heinrich Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Auch ich war hier auf einem Familienausflug, und es ist ein wirklich schönes Erlebnis, an das wir uns gerne zurückerinnern.
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