Ein Kurzbesuch in der Gedächtniskirche

Die DGUF-Tagung ist vorbei, und ich laufe noch ein letztes Mal durch Berlin. Meinen Reiserucksack auf dem Rücken laufe ich durch Straßen und Bahnhöfe. In ein paar Stunden werde ich die Stadt verlassen. Ich steige um, am Bahnhof Zoo. Doch ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich noch über eine Stunde Zeit habe. Also beschließe ich noch ein wenig die Hauptstadt zu erkunden. Ich gehe einfach drauflos, ohne darüber nachzudenken, was ich finden werde. Nur ein paar Schritte laufe ich, und erblicke den hohlen Zahn.

Die Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche, genannt hohler Zahn, in Berlin von weiten gesehen.

Kindheitserinnerungen

Erinnerungen kommen in mir hoch. Ich war 8 oder 10 Jahre alt, als ich mir die Kirchenruine das erste Mal ansah. Die Begeisterung meines Vaters schwang dabei schnell auf mich über. Und der Erklärte mir anhand der Trümmer, und der Einschusslöcher, was Krieg bedeutet. OK, so richtig kann sich, jemand, der nie einen Krieg erlebt hat, vermutlich nicht vorstellen, was das bedeutet. Aber die Einschusslöcher und Beschädigungen geben ihr bestes beim nachdenklichen Betrachten ein flaues Gefühl im Magen zu verursachen.

Einschusslöcher an der Mauer der Kaiserwilhelm Gedächtnisskirche. Die Einschusslöcher stammen aus dem zweiten Weltkrieg.

Wir sahen uns die Schäden im Innenraum gemeinsam an. Betrachteten das, was noch übrig blieb, von der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Aber, wir konnten nicht viel sehen. Der Innenraum war damals verhüllt, da es einer dringenden Restaurierung bedurfte. Und so waren es weniger Bilder als mehr Gefühle, an die ich mich erinnere. Gefühle, die sich seither scheinbar von selbst abrufen, wenn ich ein Bild dieser Kirche sehe. Aber auch, wenn ich etwas über Kriege höre. Gefühle von innerer Bedrückung und Angst vor Sonnenstrahlen. Das Gefühl, immer unterlegen zu sein Gegen eine tödliche Welt. Durch Zufall habe ich nun also eine Stunde Zeit, und stehe, direkt an diesem Ort.

Eine Nachaufnahme der Berliner Gedächtniskirche. Deutlich zu sehen ist ein Loch im Mauerwerk. Hier wurde im zweiten Weltkrieg ein Fenster des Gebäudes zerstörrt.

Es ist wie eine Magie, die mich zu der Gedächtniskirche hinzieht. Ich muss mir das alles noch einmal ansehen. Wie sieht es da drin eigentlich heute aus? Werde ich das Gleiche fühlen wie in meiner Kindheit? Gibt es dort evtl. ein paar gute Bücher? Aber vor allem, wie wird an diesem Ort mit Geschichte umgegangen?

Gefangen im Schwarm der Selfiestick Nutzer

Ich mache mich auf den Weg, und komme der in Trümmern liegenden Kirche näher. Schnell bin ich umgeben von Touristen und einer Schulklasse auf Klassenfahrt. Und bald danach weiß ich nicht mehr wohin ich treten soll, gefangen in einem Schwarm Selfiestick-Benutzer. Ich möchte um das Gebäude herum laufen, um ein paar gute Fotos von den Kriegsschäden an dem Denkmal machen zu können. Doch es gibt nur seltene Momente, in denen mir keine Teenager der Schulklasse im Weg herumstehen. Und wirklich dahin laufen, wo ich will, kann ich auch nicht, weil mich Menschenströme immer wieder von meinem Weg ablenken.

Die Gedächtniskirche in Berlin. Zu sehen ist die Seite des Turmes auf dem einmal der rest der Kirche angebaut war. Dad Gebäude ist quasi an dieser stelle abgerissen, und alte Durchgänge klappen wie offene Wunden ins freie.

Das, was von dem neuzeitlichen Bau übrig geblieben ist, ist heute Touristenmagnet. Und so überrascht die Lautstärke, die einem beim Betreten, entgegenschlägt, kaum. Die lauten Rufe von jugendlichen Schülern, die so gar nicht in das übliche Bild eines Gotteshauses passen. Ich vermute allerdings, dass mein Eindruck durch die gleichzeitig anwesende Klassenfahrt verzerrt ist. Also, dass normalerweise nicht so viele Pubertierende hier herumbrüllen. Dieser Zustand ist sehr anstrengend für die Ohren.

Von der Ruine zum Denkmal

Ein Gemauerter Backsteinbogen vor einem Bogenfenster. Reste von Mosaiken, die einmal an dem Backsteinbau angebracht waren sind zu erkennen.

Im Innenraum, sind die Überreste der Wand- und Deckenmosaike zu sehen. Sie sind restauriert. Die Risse in den Bildern sind rot eingefärbt, und zeigen dadurch wie tiefe Narben die Kriegsschäden an. Zum Teil steht das Mauerwerk frei, an stellen, an denen die Mosaiksteine von der Decke gefallen sind. Einzelne Bilder reißen plötzlich ab, und enden abrupt. Dahinter ist Ziegelmauerwerk. Und doch kann man die Kunstfertigkeit, und die einstige Pracht der Kirche erkennen. Die Mosaike wirken quasi dreidimensional und ziehen den aufmerksamen Betrachter in einen Bann. Religiöse Motive kommen genauso vor, wie Mosaike über das Leben und Wirken Kaiser Wilhelm I. Letztere waren in der ganzen Kirche vertreten, und sind zum Teil erhalten. Ihre Qualität ist sehr hoch, sodass die Bilder zum Teil wie Fotografien wirken.

Tiefe Risse, die rote ausgemalt sind in einem floralen Mosaik.

Von der ursprünglichen Kaiser-Willhelm-Gedächniskirche steht nur noch die Turmruine. Der Bau ist gerade einmal 50 Jahre alt gewesen, als er zerstört wurde. Es ist also kein archäologisch, oder historisch wertvoller Ort, geschweige denn besonders alt. Damit grenzt sich dieses Gotteshaus ganz klar von Gotteshäusern wie dem Berner Münster, den ich erst vor kurzem besucht habe, ab. Ihre größte Bedeutung erlangt die Kirchenruine als Antikriegsdenkmal.

Ein Mosaik auf der Berliner Gedächtniskirche. Es handelt sich um ein beschädigtes Wandbild das ein Wappen zeigt, und einen Mann mit ausgebreiteten Armen.

1943 wurde der neuromantische Bau bei einem Luftangriff getroffen. Die Zerstörungen waren massiv. Aber erst 15 Jahre später wurde das bis dahin nicht überdachte Kirchenschiff abgerissen. Fotos zeigen das, in Trümmern liegende, Kirchenschiff bei Gottesdiensten. Doch schließlich war der Wiederaufbau aufgrund der schlimmen Schäden nicht Möglich. Die weitere Nutzung des Dachlosen Kirchenschiffes aufgrund einer erhöhten Einsturzgefahr zu gefährlich. Schlussendlich wurde ein neuer Bau für die Gottesdienste errichtet.

Deckenmosaik der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche in Berlin. Das Mosaik ist golden und zeigt zwei Engel die einen jesus Rahmen. Das Mosaik ist Beschädiegt und hat große rot ausgemalte Risse.

Zum Gedenken an den Krieg, bleib der Turm stehen, und eine Ausstellung im Inneren des Hauptturmes wurde erstellt. Es wird darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um ein Museum handelt, sondern um ein kirchliches Gebäude. Dies soll zu einem respektvollen Umgang mit dem Denkmal anregen. Doch die hohe Anzahl der Touristen lässt einen zwischendurch eher glauben, man sei auf einem Bahnhof. Das Gewirr der Menschen ist nahe zu undurchdringlich. Deswegen ist es nur selten möglich, sich ganz in die Betrachtung eines Mosaiks fallen zu lassen. Man wird angerempelt, oder irgendjemand stellt sich vor den eigenen Blickwinkel. Die Betrachtung des Bodenmosaiks ist nahezu unmöglich.

Mosaiksteine und eine kaputte Orgelpfeife in einer Vitrine. Es handelt sich um Reste die nach dem zweiten Weltkrieg in der zerstörrten Region der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche gefunden wurden.

Interessant ist der Umgang der Ruine mit ihrer Funktion als Gedenkstätte. Von innen beleuchtete Schilder mit alten Fotos und erklärenden Texten bilden einen Rahmen, der die Geschichte des Gotteshauses erklärt. In einigen Glasvitrinen finden sich Gegenstände, welche nach dem Bombenangriff aus den Trümmern geborgen wurden. Bestandteile von Kronleuchtern, Metallgegenstände, und ein paar handvoll Mosaiksteine, die exemplarisch in einer Vitrine liegen. Die Mosaiksteine haben eine stellvertretende Wirkung, die anzeigt, inwieweit hier ein Kulturgut zerstört wurde.

Ein Symbol der Monarchie

Schade ist, dass die Ausstellung sehr kurz gehalten ist. Die Texte, und Fotos geben dem Besucher nur einen kurzen historischen Überblick. Dabei ist die Geschichte des Gebäudes nicht uninteressant. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche war zur Würdigung Kaiser Wilhelms I errichtet worden. Sie war Symbol und Bestandteil einer Kultur, welche die Monarchie würdigte. Mit dem Ende dieser verlor sie ihre Bedeutung. Der Bau wurde gar als Verkehrshindernis bezeichnet. Ihr kunstgeschichtlicher Wert, als historisches Dokument, wurde zunächst nicht wahrgenommen. In den Zwischenkriegsjahren war sie Bestandteil einer Altmodischen, aber keiner historischen Kultur. Ihre Funktion bestand nur noch darin, der religiöse Treffpunkt der umliegenden Gemeinde zu sein. Das Gebäude verlor also für eine Zeit an Bedeutung.

Ein Mosaik das die Kaiserliche Familie zeigt. Es handelt sich um eine Darstellung der Vermählung von Kaiser Wilhelm II.

Die Berühmtheit der Gedächtniskirche kommt heute durch ihre Funktion als Kriegsgedenkstätte und Berliner Wahrzeichen zustande. Die durch die alliierten Bombenangriffe ausgelösten Schäden, sind dabei das eigentliche Ausstellungsstück. Die kritische Reflexion der eigenen Rolle innerhalb der historischen Realität kommt in der Ausstellung sehr kurz. Zwar wird der Wahnsinn des Faschismus benannt, eine Analyse um die Rolle der ehemaligen Monarchie im Entstehen dieses Weltbildes bleibt aber aus. Auf solche Bezüge hinzuweisen, ist zugegeben schwierig, da es kaum Bestandteil der allgemeinen historischen Wahrnehmung ist. Dennoch ist Aufklärung über solche Bezüge wichtig und ein Zeichen von Verantwortung innerhalb von historischen Betrachtungen. Gerade da es um ein zerstörtes monarchistisches Symbol geht. Heute ist es allerdings in der Hauptsache ein touristisches Ziel. Der eingebaute Gedenkstättenshop erinnert eher an einen der vielen tausend Berlin-Touristennippesstände, als an den eines historischen Ortes.

Mosaike aus einer anderen Zeit

Gerade in Hinblick auf meine eigenen Kindheitserlebnisse, in denen ich mich daran erinnere, wie ich mich damit auseinandersetzte, was Krieg eigentlich bedeutet, ist das sehr schade. Vermutlich ist es aber auch schwierig, mit der hohen Besucherzahl umzugehen, und ihr gleichzeitig gerecht zu werden. Ich hätte mir Erklärungen zu den auf den Mosaiken dargestellten Szenerien gewünscht. Mein persönliches kunsthistorisches Wissen ist eher begrenzt, konnte hier aber auch nicht erweitert werden. An einer Führung konnte ich dann aus Zeitgründen nicht mehr Teilnehmen. So dass mir hier Informationen verschlossen bleiben.

Leider gibt es in der Gedenkstätte nur wenig Literatur zu erwerben. Gerade einmal eine Broschüre, die die Geschichte der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche zusammenfasst, aber verkürzt, für 4,50€ ist zu erhalten. Tatsächlich enthält diese Broschüre nur Rahmendaten. Sie ist Bestandteil der rein touristischen Prägung des Ortes. Und doch, trotz der Besucherströme bleibt es ein Ziel, dass mit seinem abgebrochenen Turm eindrucksvoll, zeigt, was Gewalt bedeuten kann. Ein Ziel, das Bestandteil eines wichtigen Kapitels der Geschichte gewesen ist, und im Wahnsinn des Faschismus unterging. Die Gefühle, die ich bei meinem ersten Besuch, hatte, haben sich zwar nicht wiederholt, aber nachdenklich macht er schon, der Besuch in der Gedächtniskirche.

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4 Gedanken zu „Ein Kurzbesuch in der Gedächtniskirche

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