Ein Tag im Bernischen Historischen Museum

OK zugegeben, ich finde an fast jedem Museum etwas zu meckern. Aber ich hab in Fast jedem Museum auch meine positiven Aussetzer. In diesem Fall überkam mich ein Kreischanfall. Und so war ich ganz froh als ich bemerkte, dass ich alleine im Raum war. Hinter dem Glas der Vitrine befand sich ein eisenzeitliches Tonnenarmband. Eines dieser Funde an denen die meisten Museumsbesucher meist mehr oder weniger achtlos vorbei gehen. Bei mir ruft es Tränen hervor.

Ich bin im Bernischen Historischen Museum, und stehe vor dem Berner Silberschatz. Er begeistert mich nicht im mindesten. Er ist zu protzig, zu sehr Prestigeobjekt, zu Kunstgeschichte, und zu wenig Bestandteil des richtigen Lebens. Diese Art Luxusgüter interessieren mich nicht. Den Museumsbesuchern um mich herum geht es ganz anders. Mit staunenden Augen gehen sie durch den Raum. Für sie ist er wahrscheinlich der Traum vom Leben im Reichtum. Oder eine Vorstellung einer reichen und schönen Vergangenheit, die es so nur in romantisierenden Büchern und Filmen gibt.

Ich für meinen Teil schleiche mich gelangweilt zurück in den Ausstellungsraum zum Thema Archäologie. Keltische Glasarmreifen werden gezeigt. Ich freue mich sehr, dass sie hier ausgestellt sind. Erst vor kurzem habe ich das AiD Sonderheft Glas – von den Anfängen bis ins frühe Mittelalter gelesen, und freue mich um so mehr, über die Begegnung mit den Kunstwerken. Im ganzen Museum stoße ich wieder und wieder auf Glasgegenstände. Jedes mal ist es ein Anlass zur Freude, aber die eisenzeitlichen Armreifen rauben mir schlichtweg den Atem.

Dieser durchströmt mich kurze Zeit später wieder, als ich vor der Rekonstruktion der Pfahlbauten am Bieler See stehe. Kleine Miniaturmenschen zeigen den Alltag, und die Arbeit in dem neolithischen Ort. Es ist kein interpretativer Totalausfall in der Szenerie zu finden. Allerdings frage ich mich ernsthaft, wie das Bernische Museum belegt, dass im Neolithikum ausschließlich Frauen Wäsche waschen und weben. Es sind einige Gender-Klassiker innerhalb der dargestellten Gesellschaftsordnung zu finden. Dies kann nur innerhalb der Diskurse der historisch patriarchalen Archäologie entstehen. Die Problematik ist, dass dem Zuschauer auf diese Art gesellschaftliche Strukturen suggeriert werden, für die es schlichtweg keinen Beleg gibt.

Ich schaue mir weitere Ausstellungsräume an, und stoße auf die Skulpturen die beim Bildersturm im Berner Münster zerstört worden sind. Ein wohlig bekannter Geruch schwingt mir um die Nase. Es riecht nach nassem Stein, nach Ausgrabung. Ich gehe dem Geruch hinterher, und tatsächlich entspringt er bei den Skulpturüberresten.

Seit der Reformation, bis zu ihrem Fund 1986 lagen die Bruchstücke, als Füllschutt für das Fundament, unter dem Berner Münster verborgen. Was für den einen Trümmerteile sind, ist für andere ein Kunstschatz unvergleichlicher Größe. Auseinander gebrochene Körperformen, und demolierte Gesichter sind Zeugen massiver Gewalt. Und dennoch lassen die Überreste das hohe handwerkliche Geschick im 15 Jh. erahnen.

Gerahmt wird der Ausstellungsbereich von dem Vinzenzteppich. Einen im Jahr 1515

hergestellten Bildteppich. Dieser wurde vor dem Bildersturm aus dem Berner Münster gerettet. Die Kunstgeschichtlichen werke in dieser Ausstellung rahmen sich thematisch gegenseitig, und lösen im mir unweigerlich eine große Faszination aus. Es besteht die Möglichkeit sich hinzusetzten und alles zu betrachten und wirken zu lassen. Dadurch gelingt es die Ausstellungstücke für sich selbst sprechen zu lassen. Das macht den Berner Skulpturenfund zusätzlich beeindruckend.

Besonders begeistert mich im Bernischen Historischen Museum, dass es Leseecken gibt, in denen man Platz nehmen kann. Thematisch passende Fachliteratur liegt zu blättern bereit. Ich nehme das Angebot war und verbringe Stunden damit, in den Büchern zu stöbern, und mir dabei direkt die Fundstücke anzusehen.

Wer sich schon immer mal ein Faksimile mit eigenen Augen ansehen wollte, dem werden in dem Ausstellungsbereich zum Thema Mittelalter die Samthandschuhe gereicht. Mich überrascht an dieser Stelle das Vertrauen, dass dem Museumsbesucher entgegen gebracht wird. Ich genieße es um so mehr, mir die Ausstellungsräume näher anzusehen.

Die Themenbereiche Asien und Afrika, sowie über die Indianer sind sehr liebevoll gestaltet, auch wenn ich mir mehr Erklärungen gewünscht hätte. Es macht mich aber auch traurig, dass das Fach Archäologie immer noch sehr Eurozentristisch geprägt ist. Ich hoffe ich kann mir in der Zukunft mehr wissen über die afrikanischen Masken, die mich ansehen, aneignen, oder die Unterschiede der Buddhastatuen die aus ihren Vitrinen lächeln begreifen. Deswegen freue ich mich extrem, als ich ein Gefäß der Nazca-Kultur auf den ersten Blick erkenne, denn es zeigt mir, das ich bereit ein bisschen über diesen Horizont blicken kann.

Zum Abschluss schaue ich mir die Orientalistik an. Hier bin ich enttäuscht. Zwar gibt es ein wunderschön rekonstruiertes persisches Empfangszimmer, aber der Rest der Ausstellung wirkt, im Gegensatz zum gesamten Museum lieblos. Im altägyptischen Teil wirkt es gar so, als würde dieser nur existieren, da es sich in einem historischen Museum so gehört. Es gibt den Sarkophag einer Anstandsmumie zu bestaunen. Aber keine wirkliche Leidenschaft für den Fachbereich Ägyptologie kommt auf.

Um das Museum nicht mit diesem Eindruck zu verlassen, gehe ich noch einmal in den Ausstellungsraum zum Thema Steinzeit. Dieser ist so liebevoll gestaltet, wie es bei diesem Thema eher selten ist. Auf kleinen Monitoren laufen Filme aus der Experimentalarchäologie, die die Technischen Fähigkeiten der Zeit zeigen. Ich lehne mich entspannt zurück bevor ich nach fast 7 Stunden das Museum verlasse.

5 Gedanken zu „Ein Tag im Bernischen Historischen Museum

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